Das gläserne Paradies
andere war als ihre. Die StraÃen wurden immer enger, die Beleuchtung immer schlechter. Doch trotz des feuchtkalten Wetters herrschte reges Treiben. Zeitungsverkäufer priesen lautstark die neuesten Nachrichten an, rund um rauchende Würstchenbuden bildeten sich kleine Trauben von Nachtgängern, schemenhafte Figuren drückten sich inHauseingängen herum und raunten: »Zigarren! Zigaretten!« Wanda konnte sich nicht vorstellen, was jemanden dazu bewegen sollte, seine Rauchwaren hier zu kaufen statt in einem der hübschen Tabakwarenläden, die es in jeder gröÃeren StraÃe gab. Obwohl es so kühl war, lag ein muffiger Geruch in den StraÃen, alle paar Meter türmten sich Müllberge, und einmal huschte eine Ratte fast über Wandas und Annas FüÃe. Daraufhin versuchten die Frauen, so gut es ging, in der Mitte des Gehwegs zu bleiben, wo die Beleuchtung besser war und sie etwas Abstand zu den Müllbergen und Hauseingängen hatten. Obwohl sie stur geradeaus schauten, wurden sie immer wieder angesprochen, teils von Männern, die sie zu Getränken einladen wollten, teils von Frauen, die sie beschimpften.
»Rechts, links, wieder rechts â was für ein Irrgarten! Allein finden wir nie wieder zurück ins Hotel«, murmelte Wanda, während sie den Regenschirm noch höher hielt, um nicht bei einem anderen Passanten anzuecken. Ihr war unter den dubiosen Gestalten gar nicht wohl, und sie bereute längst ihre Entscheidung, den Männern zu folgen. Was, wenn sie durch ihr Verhalten Anna in Gefahr brachte? Oder gar den Erfolg des gesamten Unternehmens?
Was habe ich nur wieder angerichtet? Wären wir doch im Hotel geblieben, so wie David es wollte â¦
Im nächsten Moment strauchelte Wanda, weil Anna, die sie untergehakt hatte, abrupt stehengeblieben war.
»Da!« Annas Hand schoà unter dem Regenschirm hervor.
Ein Stück die StraÃe entlang waren die Männer ebenfalls stehengeblieben. Benno gestikulierte in Richtung eines Hauses, dann wieder in Richtung der StraÃe. Hastig zog Wanda den Regenschirm nach unten, um nicht gesehen zu werden.
»Noch auffälliger geht es nicht â¦Â« Anna kicherte, und Wanda wuÃte nicht, ob sie damit gemeint war oder Bennos Gestikulieren. Sie reckte ihren Hals wie eine Schildkröte, um besser sehen zu können.
Im nächsten Moment teilten sich die Männer. Benno und David betraten das Haus, während Karl etwas unschlüssig davor auf- und ab lief und zwischendurch auch einmal um die nächste StraÃenecke verschwand.
»Und nun?« Fragend schaute Anna Wanda an.
Vorsichtig machte Wanda ein paar Schritte nach vorn, bis sie den Eingang des Hauses genauer im Visier hatte. »Blaue Eule« prangte auf einem messingfarbenen Schild, das eine Politur dringend nötig gehabt hätte. Vor lauter Aufregung wurde ihr ganz schwindlig.
»Daà Benno in solchen Lokalen verkehrt, hätte ich nicht gedacht«, murmelte Anna.
»Hmm«, brummelte Wanda. »Reingehen können wir nicht. Wenn die Männer uns sehen, reiÃen sie uns den Kopf ab. Am besten verstecken wir uns und â«
Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Die Tür des Hauses, in dem Benno und David verschwunden waren, wurde abrupt aufgerissen, eine Frau kam schreiend herausgerannt, gefolgt von einem Mann, der ebenfalls laut schrie. Hinter dem Mann erschienen Benno und David.
Anna schlug eine Hand vor den Mund. »Du lieber Himmel!« Ein Zittern ging durch ihren Körper.
Wandas Herz pochte so hart, daà es weh tat. Der Aktienhändler! Er war es ganz eindeutig! Und er war ebenso eindeutig dabei zu fliehen. Genau wie die Frau, die vor ihm herrannte.
Was nun?
Die Frau trug eine weiÃe Gesichtsmaske, aus derlediglich die Augen und ein grellrot geschminkter Mund herausschauten. Ihre FüÃe steckten in Schuhen mit hohen Absätzen, was sie nicht davon abhielt, zu rennen, als sei der Leibhaftige hinter ihr her.
Innerhalb weniger Sekunden war die seltsame Gruppe nur noch ein paar Schritte von Wanda und Anna entfernt. AuÃer der Maske und den Schuhen hatte die Frau nicht viel an, sah Wanda jetzt â lediglich ein dünnes Tuch war um ihre Hüften gebunden und verbarg das Allernötigste. Ihr gellender, anhaltender Schrei erschütterte Wanda bis ins Mark. Eine Wahnsinnige!
»Claire! Warte, Chérie, warte! Claire!« schrie der falsche Aktienhändler, während er
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