Das gläserne Paradies
einfach ebenfalls deine Koffer und kommst nach Hause!« Ruth schluchzte einmal auf und drückte ihre Tochter so fest an sich, daà Wanda fast die Luft wegblieb.
10. K APITEL
Nachdem Hansens Pferd einen letzten Eimer Wasser ausgetrunken hatte, setzte sich der Wagen endlich in Bewegung.
Anna tat sehr geschäftig, als wolle sie sogleich jeden Zweifel darüber ausräumen, wer von nun an die Herrin im Haus war. Ohne weitere Worte zu verlieren, eilte sie hinein, und Johannes trottete mit gesenktem Kopf hinter ihr her.
Mit Sylvie, die inzwischen eingeschlafen war, machte sich Wanda auf den Weg ins Oberland. Geräuschvoll zog sie immer wieder die Nase hoch, die vom vielen Weinen ganz verstopft war.
»Wenn alle Stricke reiÃen, kommst du nach Hause« â die Worte ihrer Mutter hallten in ihr nach. Warum hattesie nicht erwidert, daà sie längst zu Hause war? Daà Lauscha ihr Zuhause war? Es lag nur an dem dicken Kloà in ihrem Hals, daà sie diese Worte nicht hatte aussprechen können. Und noch etwas: Wenn hier ihr Zuhause war, warum nur fühlte sie sich dann so seltsam verloren?
Alles war wie immer, im Dorf herrschte dieselbe Betriebsamkeit wie an anderen Tagen auch, und dennoch kam es ihr vor wie ein Garten, aus dem die Sonne gewichen war und in dem man deshalb nicht mehr sitzen mag.
Waren wirklich erst wenige Wochen vergangen, seit sie ihren Traum, Richard noch in diesem Sommer heiraten zu können, begraben muÃte?
Richard ⦠Wandas Befürchtung, er werde sich durch Ruths Nein in seiner Ehre gekränkt fühlen, war nicht eingetroffen. Heimlich hatte Wanda damit gerechnet â und vielleicht auch ein wenig darauf gehofft â, daà er Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um Ruth doch noch auf seine Seite zu bringen. Aber er hatte die ganze Angelegenheit auf seine Art genommen. »Wer weiÃ, wofür der Aufschub gut ist«, hatte er gesagt.
Aufschub? Wanda wollte schon seine Wortwahl monieren, als er hinzufügte: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« So könne er sich wenigstens in aller Ruhe seinem neuen Auftrag widmen, mit dessen schriftlicher Bestätigung er nun jeden Tag rechne. Dieser werde ordentlich Geld in seine Kasse bringen, und Geld könne die kleine Familie doch weià Gott gebrauchen. Die UmbaumaÃnahmen am Haus, die Hochzeitsfeier ⦠An dieser Stelle hatte er inbrünstig geseufzt und die Stirn in tiefe Falten gelegt. Lachend eröffnete Wanda ihm, daà ihre Mutter sich mit dem Gedanken trug, ihnen zur Hochzeit ein Haus zu schenken. Und daà damit seine Zukunftssorgen doch sicher nicht mehr ganz so groà waren.
»Machst du Witze?« fragte er ungläubig. Seine Begeisterung hatte, als Wanda ihm klar machte, daà die Mutter es ernst meinte, keine Grenzen gefunden. Gemeinsam hatten sie sich ausgemalt, wie ihr neues Haus einmal aussehen sollte. Natürlich würde es auf der Sonnenseite von Lauscha liegen und flieÃend Wasser und Strom haben. Und eine groÃe Tür, die in einen groÃen Ausstellungsraum für seine Glaswaren führte. Platz und Licht und weiÃe Wände! Damit würde er seinem Traum, einmal ein feines Ladengeschäft zu besitzen, in dem sich betuchte Kundschaft aus nah und fern einfand, ein gutes Stück näher kommen. Er hatte gelacht, Wanda umarmt und gemeint, dies sei der beste Beweis dafür, daà alles zwei Seiten habe und es an jedem Menschen selbst liege, die gute davon zu sehen. Plötzlich war es auch Wanda gelungen, die gute Seite von Mutters Nein zu sehen.
Richard, der Optimist ⦠Sie wischte die letzten Tränen fort und schmunzelte.
Ein Glasgeschäft der feinsten Art ⦠Es war schon bewundernswert, wie zielstrebig er seinen Traum verfolgte.
Wanda war so in Gedanken vertieft, daà sie die zusammengekauerte Gestalt unter dem Kirschbaum im Garten von Karl dem Schweizer Flein erst gar nicht sah. Sie war schon fast an dem Haus vorbei, als ein gepreÃtes Schluchzen sie aufschrecken lieÃ.
»Maria! Ist alles in Ordnung? Kann ich dir irgendwie helfen?« Wanda stellte den Kinderwagen ab, war mit einem Satz am Gartenzaun und schaute erschrocken zu der alten Frau.
Maria Schweizer machte eine abwehrende Handbewegung, hielt die andere Hand jedoch weiter vors Gesicht. Ihr ganzer Leib wurde von harten Schluchzern geschüttelt.
Unsicher blieb Wanda stehen. Doch dann löste sie den Haken des Gartentürchens und
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