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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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machte einen zaghaften Schritt auf Maria Schweizer zu. Was mochte die ansonsten so patente und zupackende Frau dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht haben?
    Marie schaute auf. Ihre Augen waren gerötet, ihre linke Wange angeschwollen und seltsam verformt.
    Â»Dieser schreckliche Alois Gründler! Mit seiner Schnapsidee, nach Amerika auswandern zu wollen, stürzt er uns alle ins Unglück!«
    Wanda kniete sich neben der Frau auf den Boden, der mit Kirschkernen und Vogelkot übersät war.
    Â»Der Verkauf der Hütte muß doch nicht das Ende der Welt bedeuten«, sagte sie leise. Ihr fiel ein, daß Karl der Schweizer Flein Obergeselle in der Gründler-Hütte war, also der wichtigste Mann überhaupt. Er verteilte die Arbeit an die anderen Glasarbeiter, er überwachte deren Tätigkeit, er war eigentlich für alles verantwortlich – um so mehr, da sich der Besitzer selbst nur selten blicken ließ.
    Â»Dein Karl ist doch ein geachteter und erfahrener Mann, bestimmt wird er von dem neuen Besitzer übernommen«, versuchte Wanda die Frau aufzumuntern. Sie warf einen raschen Blick zu dem Kinderwagen. Ausgerechnet jetzt mußte die Kleine friedlich schlafen! Kindergeschrei hätte ihr einen guten Grund gegeben weiterzugehen. Sie, Wanda, konnte der Frau doch sowieso nicht helfen.
    Â»Das sag mal meinem Karl«, spuckte Maria aus. »Der hat die Verleger gefressen. Diese – Halsabschneider! Aber das sind Dinge, von denen du keine Ahnung hast …« Sie winkte ab.
    Wanda seufzte auf. Wieder einmal diese Worte! Obwohl sie nicht die geringste Lust auf das Gespräch verspürte,ließ sie sich neben Maria nieder. Ein paar Kirschkerne bohrten sich unangenehm in ihr Gesäß.
    Â»Vielleicht wäre es an der Zeit, daß mich mal jemand über die ›bösen Verleger‹ aufklärt?« sagte sie, die letzten Worte ironisch betonend.
    Maria Schweizer schaute sie an. Mit einem Schulterzucken hob sie an: »Die Sonneberger Verleger waren schon immer Fluch und Segen für Lauscha. Ohne ihre Geschäftskontakte bekämen wir unsere Glaswaren gar nicht los. Den Einkäufern der großen Kaufhäuser in Deutschland und anderen Ländern ist es doch viel zu mühselig, von Haus zu Haus zu laufen und sich hier ein paar Kerzenständer, da ein Dutzend Glasschalen und so weiter zusammenzusuchen. Die gehen lieber zu einem Verleger, lassen sich ein Musterbuch zeigen und wählen in aller Ruhe aus, was sie haben möchten. Und diese Aufträge gibt der Verleger dann an die Glasbläser weiter. So gesehen könnte man fast von einer fruchtbaren Zusammenarbeit sprechen.« Sie lachte harsch auf.
    Â»Aber, Johanna, ich meine, die Glasbläserei Steinmann-Maienbaum kommt doch auch ohne Verleger aus«, erwiderte Wanda stirnrunzelnd.
    Â»Damit ist sie die große Ausnahme. Johanna hat sehr früh erkannt, daß es nicht gut ist, sich vom Wohlwollen dieser Männer abhängig zu machen. Sie hat ihre eigenen Kontakte aufgebaut, und dank Ruth in Amerika ist ihr dies gut gelungen.«
    Â»Hm.« Wanda nickte, als wäre ihr damit alles klar.
    Maria schien jedoch zu merken, daß die Amerikanerin ihr nicht folgen konnte. »Verstehst du denn nicht? Ein Verleger kommt mit einem Auftrag daher. Sagen wir einmal, er will fünfzig Dutzend Glasschalen, bemalt und mit Fuß, lieferbar in drei Wochen. Ob dies für den Glasbläserzeitlich zu schaffen ist – danach fragt er nicht. Ob sein Preis akzeptabel ist – danach fragt er nicht. Ob der Glasbläser das Geld hat, die Rohlinge und Farben für die Glasschalen zu kaufen – danach fragt er nicht. Warum sollte er auch? Es gibt genügend Glasbläser, die bereit sind, Tag und Nacht für einen Hungerlohn zu arbeiten, nur um überhaupt etwas verdienen zu können! Den Verlegern ist diese Konkurrenz nur recht. Sie tragen kein Risiko, müssen weder in Rohstoffe noch in Lagerkosten investieren. Die kassieren nur ab, so sieht’s aus!« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Früher – es ist schon lange her – war Karl ja auch einmal ein selbständiger Glasbläser. Damals waren auch wir den Verlegern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Oh, wenn ich nur daran denke! Die Angst, wenn kein Auftrag kam! Und kam einer, hatten wir Angst, daß wir damit nicht fertig werden würden. Tag und Nacht haben wir geschuftet, Karl hat Glas geblasen, und ich

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