Das gläserne Paradies
Ruth hatte nicht das geringste Interesse dafür gezeigt. Und auch Johanna hatte auf die Nachricht ziemlich gleichgültig reagiert.
»Wenn wir mit dem neuen Besitzer nicht klarkommen, müssen wir uns eben nach einem neuen Lieferanten für unsere Glasrohlinge umsehen. Sowohl die Kühnertshütte als auch die Seppenhütte liefern ebenfalls hervorragende Qualität!« Das sei zwar ein biÃchen unpraktisch, hatte sie noch angefügt, weil die Gründler-Hütte so nah an der Glasbläserei Steinmann lag und sich die beiden anderen Hütten ein gutes Stück entfernt befanden, aber ein Weltuntergang sei es nicht. Auch glaubte Johanna nicht, daà der neue Besitzer die Preise für seine Rohlinge hochsetzen würde â die anderen Hüttenbesitzer würden sich auf dieses Spiel nicht einlassen, womit die Gründler-Hütte sehr schnell am Ende wäre.
Auch ihr Vater und Richard schienen sich keine gröÃeren Sorgen zu machen. Beiden war es gleich, woher sie ihr Material bezogen, solange es von guter Qualität war. Was die Arbeiter in der Gründler-Hütte anging, so hatten die zwar ihr Mitgefühl, aber über ein paar wortstarke Bekundungen am Stammtisch ging dieses nicht hinaus.
Irgendwie kümmerte sich jeder nur um sich selbst ⦠Kein Wunder, daà Lauscha vor die Hunde geht, dachte Wanda bei sich, unwillkürlich Maria Schweizers Worte wiederholend.
11. K APITEL
»Was heiÃt das, du hast doch keinen Auftrag von Täuber bekommen?« Irritiert schaute Wanda Richard an.
Es war kurz nach zehn Uhr morgens. In der Nacht zuvor hatte es angefangen zu regnen. Nachdem Sylvie wieder einmal die halbe Nacht geschrieen hatte, hatte Wanda das Kind am Morgen in Evas Obhut gegeben und sich trotz des Regens zu Richard aufgemacht. Hinaus! Eine Stunde Luftholen, nicht ständig an das arme kleine Ding denken müssen, das Bauchweh hatte oder Hunger oder müde war und nicht schlafen wollte.
Wie gern hätte sie sich einfach nur in Richards Arme gekuschelt, sich von ihm halten lassen! Statt dessen stand sie wie ein begossener Pudel im Türrahmen, während Richard wie gelähmt auf den Brief starrte, den der Postbote wenige Minuten vor Wandas Ankunft gebracht hatte.
»Hallo, Richard! Du hast Besuch, ich binâs, Wanda!« sagte sie gereizt. Ihre Jacke war regennaà und klebte unangenehm an ihrer Haut. Statt sie auszuziehen, hob Wanda den Stoff nur ein biÃchen an. Wenn sich Richard nicht augenblicklich um sie kümmerte, würde sie auf der Stelle kehrtmachen und gehen.
»Wanda, ich ⦠Entschuldige!« Die Erregung, die sich in seinem Gesicht spiegelte, lieà ihn jung und abenteuerlustig aussehen. Mit einem Satz war er bei Wanda und zog sie zu sich an den Küchentisch. Wild mit einer Hand fuchtelnd, drückte er sie auf einen der Stühle. »Das muÃt du dir ansehen. Gotthilf Täuber ⦠Er schreibt ⦠Herrje, ich kannâs noch gar nicht fassen! Das ist ja noch viel besser als ein Auftrag!«
Mit einem Schnaufer rià Wanda ihm den Brief aus der Hand und überflog die wenigen Zeilen.
»Du sollst eine eigene Ausstellung bekommen?«
Richard nickte stolz. »Und zwar schon diesen Herbst. In Meiningen, der Stadt für alle, die etwas von Kunst verstehen!« Richards Brust hob und senkte sich, als wäre er durch ganz Lauscha gerannt.
»Aber das ist ja ganz wunderbar â¦Â« Wanda konnte sich trotz aller Freude ein Gähnen nicht verkneifen, was ihr sofort einen irritierten Blick von Richard eintrug.
»Jetzt kann ich endlich zeigen, was in mir steckt und welch einzigartige Verbindung sich aus der Lauschaer Glaskunst und den venezianischen Techniken ergibt.« Er klang triumphierend. »Wenn ich das deinem Vater erzähle â der wird Augen machen! Wanda, jetzt gehtâs aufwärts!«
Lachend lieà Wanda zu, daà Richard ihre Hände nahm und mit ihr einen Freudentanz aufführte.
Eigentlich hatte sie ihn fragen wollen, ob sie sich nicht schon nach einem Haus umschauen wollten. Ein paar geeignete Objekte hatte Wanda schon im Blick â da gab es das groÃe, etwas heruntergekommene Haus der Witwe Klöden, dann ein langgezogenes, von oben bis unten mit Schiefer verkleidetes Haus, das offensichtlich leer stand, von dem Wanda aber nicht wuÃte, wem es gehörte. Aber es wäre verlorene Liebesmühe gewesen, Richard jetzt mit ihren Häuserplänen
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