Das gläserne Paradies
Undenkbar.
Eine Lesebrille aus Holz? Würde nicht funktionieren.
Eine Welt aus Glas. Und Lauscha das gläserne Paradies, mittendrin.
Um so gemeiner war es, daà ausgerechnet die Glasbläser diejenigen waren, die am wenigsten von ihrer Kunst profitierten, fuhr es Wanda durch den Kopf. Und statt dessen machten andere den groÃen Reibach.
Aber war es nicht immer und überall so, daà die kleinen Leute ausgenutzt wurden? Hatte es überhaupt einen Sinn, sich darüber aufzuregen?
»Sei froh, Mädchen, daà dich das alles nichts angeht!« hatte Maria Schweizer zu ihr gesagt. Und Jockel hatte vorhin eine ähnliche Bemerkung gemacht. Wanda hatte nur noch mit halbem Ohr zugehört, und plötzlich ärgerte sie sich darüber.
Warum sollte sie das alles nichts angehen? War sie nicht die Tochter eines Glasbläsers? Würde sie nicht in absehbarer Zeit die Frau eines Glasbläsers werden?
Sie war nach Lauscha gekommen, weil sie hier ihre Wurzeln verspürte. Hier war ihre Heimat, ihr Geburtsort. Hier wollte sie leben, sich am dörflichen Leben beteiligen, viel mehr, als dies bisher der Fall gewesen war. Statt dessen sollte sie nun zuschauen, wie das alles kaputtgemacht wurde?
Und nun wollte auch noch ein Verleger eine der Hütten kaufen. Lauscha war dabei, wie ein Glas zu zerbrechen. Während sie, Wanda, Staub wischte und Fenster putzte.
Was bist du nur für ein verwöhntes, eigennütziges Gör! dachte sie und schauderte vor sich selbst.
»Ein Handlanger wirst du sein, mehr nicht!«
Angewidert warf sie den Putzlappen in die Ecke. Was tat sie hier eigentlich?
Andererseits: Wie sollte sie den Lauschaern helfen? Wo sie so gut wie nichts wuÃte über die Regeln, die hier herrschten. Doch selbst wenn ihr eine gute Idee käme â niemand würde auf sie hören.
Der Gedanke erleichterte Wanda irgendwie. Nein, sie konnte den Glasbläsern nicht helfen. So eine Aufgabe würde viel eher dem Bürgermeister zustehen, oder? Aber der hatte anscheinend zur Zeit andere Probleme, die offenbar mit dem Ausbau der Bahnstrecke nach Ernsthal zu tun hatten. Im »Schwarzen Adler« war, bevor die Gründler-Hütte zum wichtigsten Thema wurde, am Stammtisch oft hitzig über den sogenannten Eisenbahnkrieg debattiert worden.
Und dann war da noch das Gerede von einem Feuerteufel, seit es in der Gaststätte »Braustube« so fürchterlich gebrannt hatte. Drei Häuser waren dabei völlig vernichtet worden, und nun hieà es, jemand hätte seine Hände im Spiel gehabt. Der Bürgermeister hatte den Lauschaern eine gründliche und völlige Aufklärung der schrecklichen Angelegenheit versprochen.
Angesichts dieser Probleme konnten die Arbeiter der Gründler-Hütte vom Bürgermeister sicher keine Hilfe erwarten. Also muÃten Karl der Schweizer Flein, Karlines Mann Siegfried, Jockel und wie sie alle hieÃen, sich selbst helfen.
Warum, zum Beispiel, kauften die Lauschaer die Gründler-Hütte nicht selbst? Alle zusammen?
Ha, damit würden sie dem geheimnisvollen Verleger einSchnippchen schlagen! Und konnten ihre Glasrohlinge direkt an die anderen Glasbläser verkaufen, ohne den Umweg über einen Verleger.
Dann wären die Glasbläser endlich ihre eigenen Herren â¦
14. K APITEL
»Hast du den Speck nicht ein wenig ausgelassen, bevor du die Bohnen dazugegeben hast?« fragte Eva stirnrunzelnd, als die Familie beim Abendbrot saÃ.
Wanda, die gerade damit beschäftigt war, eine lange Bohnenfaser zwischen ihren Zähnen hervorzuziehen, zuckte mit den Schultern.
»Wie meinst du das? Ich habe alles zusammen in den Topf gegeben und â«
»Dein Arbeitseifer in Ehren, aber deine Kochkünste lassen noch ziemlich zu wünschen übrig!« unterbrach Thomas Heimer sie. Er hielt Eva seine Gabel entgegen, auf der ein weiÃes, schwabbeliges Speckstück aufgespieÃt war. »Würdest du nicht den ganzen Tag die Kindsmagd spielen, hätten wir jetzt etwas Ordentliches zu essen!«
»Also, mir schmeckt es eigentlich ganz gut. Ein wenig anders als sonst vielleicht, aber â¦Â«, sagte Richard, der direkt aus Sonneberg zu Heimers gekommen war.
Wanda warf ihm einen schrägen Blick zu.
»Sagt mal, warum kaufen die Glasbläser die Gründler-Hütte eigentlich nicht selbst?« fragte sie, mehr um das Gespräch von ihrem miÃratenen Bohneneintopf abzulenken als um der
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