Das gläserne Paradies
Karl-Heinz Brauninger oder andere wichtige Geschäftspartner konnte man schlieÃlich schlecht an den Küchentisch setzen. Falls sie je kamen â¦
Nach einer guten Stunde Arbeit glänzte das Wurzelholz, strahlte der Spiegel mit dem Goldrand, funkelten die Glasscheiben der Anrichte. Doch statt sich daran zu freuen, lieà sich Wanda lustlos auf einen der Stühle fallen, deren gepolsterte Rückenlehnen steif waren und seltsam rochen.
»Willst du für den Rest deines Lebens die Putzfrau spielen?« Bevor sie etwas dagegen tun konnte, hatte sie die Worte ihrer Mutter im Ohr. »Von wegen Richard unterstützen! Ein Handlanger wirst du sein, mehr nicht!«
Wenn Mutter sie so sehen könnte â¦
Aber was um alles in der Welt sollte sie sonst tun? Jetzt, wo es keine Hochzeit zu organisieren gab. Jetzt, wo ihr Vater vor lauter Arbeit keine Zeit für sie hatte. Wo Richard nur seine Ausstellung im Kopf hatte.
Alle hatten zu tun. AuÃer ihr.
Der Gedanke gefiel Wanda ganz und gar nicht.
Seit Mutters Abreise waren die Tage zäh, tröpfelten nur so dahin. Es war Ruhe eingekehrt, aber statt diese Ruhe zu genieÃen, empfand Wanda eine Rastlosigkeit wie seit New York nicht mehr. Ihr war â langweilig.
Johanna hätte jetzt gesagt: »Suche die Arbeit, bevor sie dich findet! Es gibt immer genug zu tun, und am Ende eines Tages stellt man fest, daà die Zeit wieder einmal nicht gereicht hat.«
Ach, was hätte sie für eine Tasse Kaffee mit Johanna gegeben! Ein Gespräch unter Frauen, bestimmt wäre es ihr danach besser gegangen! Aber darauf würde sie in den nächsten Wochen wohl oder übel verzichten müssen.
Ach, wenn Anna nur ein wenig von dem offenen Wesen ihrer Mutter geerbt hätte! Aber eine Kaffeestunde mit ihrer verstockten, mürrischen Cousine war das letzte, wonach Wanda der Sinn stand.
Versonnen nahm sie eines der Gläser in die Hand, die zusammen mit einer Karaffe auf einem versilberten Tablett standen. Sie konnte sich nur an einen Anlaà erinnern, bei dem diese Gläser zum Einsatz gekommen waren: Als der erste Auftrag von Karl-Heinz Brauninger ins Haus geflattert war, hatte Vater Eva losgeschickt, um eine Flasche Wein zu kaufen. Rubinrot hatte der Wein in den Gläsern geglitzert, krampfhaft hatte jeder den feinen Stiel seines Glases umklammert. Dann hatten alle an dem Wein genippt, ohne ihn wirklich zu schmecken â jedem war der Mund übergesprudelt mit Ideen, Gedanken und Fragen, die den Auftrag betrafen. Was war das für ein Freudentag gewesen!
Mit einem Lächeln drehte Wanda das Glas in ihrer Hand.
Wie dünn es war! So als wolle es seinem edlen Inhalt auf keinen Fall Konkurrenz machen. Woraus hatten die Menschen eigentlich getrunken, als es noch kein Glas gab? Und wie lange gab es Glas eigentlich schon? Wanda nahm sich vor, Richard am Abend diese Fragen zu stellen.
Inzwischen war ihre gute Laune zurückgekehrt, warum, hätte Wanda nicht sagen können. Mit frischem Elan rappelte sie sich auf. Langeweile, pah! Der würde sie ein Schnippchen schlagen!
Jetzt würde sie einfach noch rasch die Fenster putzen. Eva war bestimmt froh, wenn ihr diese Arbeit abgenommen wurde.
Wanda hatte den Wischlappen schon an die Scheibe gedrückt, als ihre Hand nach unten sank. Gedankenverloren sah sie zu, wie nasse Schlieren an dem Glas hinabliefen.
Das Tablett mit den Weingläsern.
Das Fenster.
Wandas Blick wanderte durch den Raum, als sehe sie alles zum ersten Mal.
Der Glaseinsatz der Gaslampe â¦
Das VergröÃerungsglas, mit dem GroÃvater seine Zeitung las â¦
Die Scheiben der Vitrine â¦
Der Spiegel mit dem Goldrand â¦
Ãberall Glas.
Geschaffen von Menschenhand, eine Augenweide für den Betrachter, aber noch viel mehr: Ohne sein VergröÃerungsglas hätte GroÃvater schon lange keine Zeitung mehr lesen können. Ohne den Glaseinsatz einer Gaslampe säÃen sie immer noch in düsteren Kammern mit stinkenden Ãlfunzeln. Ohne Fenster wären die Häuser düster, oder der Wind würde durch sie hinwegfegen.
Wanda lächelte vor sich hin, als sie mit ihremWassereimer in die Küche ging. Hinter ihrer Stirn rasten die Gedanken weiter.
Schiffe, Automobile, die Schaufenster in den groÃen Kaufhäusern dieser Welt â überall war Glas das Material, das den Menschen das Leben schöner und einfacher machte.
Fenster aus Porzellan?
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