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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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allzugern und ständig wiederholte. Auch Richard gegenüber, der daraufhin nur lachte. »Lass ihn doch reden, da spricht der pure Neid!« Mit diesen Worten hatte er einmal versucht, Wanda zu besänftigen. Natürlich war Jockel unverheiratet. Und würde es wahrscheinlich auch bleiben, denn Wanda konnte sich keine Frau vorstellen, die verzweifelt genug wäre, einen so mißmutigen Burschen zu ehelichen. Jockels Hader mit der Welt kannte keine Grenzen: Er schimpfte, wenn das Wetter gut war, er schimpfte, wenn es schlecht war. Er murrte, wenn es in der Hütte viel Arbeit gab, er jammerte, wenn die Aufträge ausblieben.
    Und nun mußte sie ausgerechnet ihm über den Weg laufen!
    Was geht mich das alles an? hätte sie den Mann am liebsten angeschrieen, als er sie prompt in ein Gespräch verwickelte, das natürlich nur ein Thema hatte und mit Worten wie »blöde Gründler-Hütte«, »Halsabschneider«, »Ganoven«, »Dreckskerl« und »Hundsfott« bestückt war.
    Statt dessen gab sie an den richtigen Stellen mitfühlende Laute von sich, während sie von einem Bein aufs andere trat. Sah Jockel nicht, daß ihre Jacke naß war? Daß sie sich umziehen mußte, bevor sie sich erkältete?Ihre Gedanken gingen unruhig hin und her, auf der Suche nach einer Möglichkeit, das Gespräch abzubrechen.
    Â»Aber wem erzähl ich das? Dich gehen diese Sorgen ja nichts an!« endete Jockel schließlich bitter. »Daran sieht man mal wieder, wie ungerecht die Welt ist. Die einen werden mit einem goldenen Löffel im Maul geboren, und wir anderen können schauen, daß uns nicht vollends das Fell über die Ohren gezogen wird!« Und ohne ein Wort des Abschieds marschierte er mit gesenktem Kopf davon.
    Â»Blödmann«, murmelte Wanda ihm hinterher.

12. K APITEL
    Â»Sag mal, Vater, warum ist Karl der Schweizer Flein eigentlich so schlecht auf die Verleger zu sprechen?« Mit einer Tasse Tee in der Hand machte es sich Wanda auf einem Stuhl in der Werkstatt bequem.
    Das Haus war wie ausgestorben gewesen, als sie von Richard zurückkam. Erst als sie den langen Flur bis ganz nach hinten durchgegangen war, hatte sie ihren Vater und Michel in der Werkstatt gefunden, wo jeder an seinem Bolg saß und arbeitete. Nach einer kurzen Begrüßung war sie in die Küche gegangen, wo sie ihre nasse Jacke neben den Ofen zum Trocknen legte und gleichzeitig eine Kanne Tee aufsetzte.
    Anschließend war sie die Treppe hinaufgestiegen, um sich umzuziehen. Aus dem Kinderzimmer nebenan war leises Singen zu hören gewesen: Eva, die einer selig schlafenden Sylvie eine Weise vorsang, die Wanda nicht kannte. Lächelnd stand Wanda im Türrahmen und stemmte sichheftig gegen den Wunsch, das kleine Bündel selbst in die Arme zu nehmen. Den pudrigen Babyduft einatmen, Richard vergessen, der lieber allein nach Sonneberg fuhr als mit ihr …
    Gleichzeitig hatte sie sich gefragt, warum das Kind bei Evas Gutenachtliedern sofort einschlief, während es bei ihrem eigenen Gesang eher noch wacher zu werden schien. Doch dann hatte sie sich zur Ordnung gerufen und den kleinen Stachel der Eifersucht, den sie bei dem trauten Anblick verspürte, zu ignorieren versucht. War es nicht ein Segen, in Eva eine solche Hilfe zu haben?
    Â»Karl?« sagte Thomas Heimer jetzt, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen. »Was ist mit dem Schweizer?« Vor ihm, neben ihm und hinter ihm lagen Dutzende von Schachteln, gefüllt mit durchsichtigen Glasstäben – den sogenannten Rohlingen, aus denen Kunstwerke aller Art entstanden. Ohne zu schauen, griff Thomas hinter sich, holte einen der Rohlinge hervor und hielt ihn über die Flamme.
    Â»Frag uns lieber mal, was wir gegen die Verleger haben«, antwortete Michel an seiner Stelle. Er zeigte auf die Berge von Glasrohlingen. »Dreitausend Serviettenringe mit Blütenaufsatz in sechs Tagen – das ist doch nicht zu schaffen!«
    Erst jetzt bemerkte Wanda, wie bleich Michel war, wie dunkel die Schatten unter seinen Augen waren. Ihr Vater sah keinen Deut besser aus, unrasiert und mit fast grauer Gesichtsfarbe hing er über seinem Bolg. Wie lange mochten die Männer letzte Nacht gearbeitet haben? Wanda erinnerte sich daran, daß sie sich bei ihrem Gang in die Küche, wo sie Milch für Sylvie erwärmen wollte, über den Lichtstrahl gewundert hatte, der unter der geschlossenen Werkstattür

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