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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Debattierklubs bedurfte, um die Münzen in seiner Kasse zum Klingeln zu bringen, sollte ihm das recht sein!

    Wanda fragte sich im nachhinein, was sie sich eigentlich von diesem Abend erhofft hatte. Daß die Glasbläser ihr heftig applaudieren würden? Daß einer nach dem anderen aufstehen, seinen Geldsäckel zücken und auf dem Stammtisch entleeren würde, um damit das Startkapital für die Genossenschaft zu bilden?
    Diese Idee erschien ihr schon am nächsten Morgen als so abwegig, daß sie lachen mußte.

    Je mehr Tage seit dem denkwürdigen Abend verstrichen, ohne daß jemand auf das Thema zu sprechen kam, desto erleichterter war sie. Richard war von ihrem Auftritt wenig begeistert gewesen, das hatte sie wohl gespürt. Trotzdem war sie stolz auf sich. Immerhin hatte sie sich getraut, sich vor die Männer zu stellen und ihre Idee zum besten zu geben. Sie hatte nicht gekniffen! So wie früher, wo sie sich so oft nicht getraut hatte, etwas zu sagen. Ihr fiel ein Zwischenfall ein, an den sie lange nicht mehr gedacht hatte.
    Es war in der Zeit gewesen, als Marie sie in New York besuchte. Wanda hatte sich für den Posten einer Aufseherin in einer Mantelfabrik vorstellen wollen. Doch als sie am Fabriktor ankam, war gerade ein Streik in vollem Gange. Hunderte von aufgebrachten, aber auch verängstigten Frauen hatten ihr den Weg versperrt. Und die Wortführerin hatte sie barsch angefahren, sie solle mitmachen oder gehen. Wanda war gegangen. Hatte den Schwanz eingezogen und sich getrollt wie ein ängstlicher Hund. Zu Hause hatte sie außer Marie niemandem etwas von dem Vorfall erzählt.
    Ja, die Zeiten hatten sich geändert. Sie hatte sich geändert!
    Und hatte der Abend ihr nicht außerdem etwas gebracht, was sie gar nicht erwartet hatte?
    Daß ihr Vater sich so vor sie stellen, daß er ihre Idee vor allen andern verteidigen würde – noch immer wurde ihr ganz warm ums Herz, wenn sie daran dachte.

    Eine Woche später hatte Wanda die ganze Sache fast vergessen. Laut Richard war ihr Auftritt zwar noch immer das Dorfgespräch, doch ihr gegenüber sprach niemand mehr das Thema an.
    In diesen Tagen fuhr sie Sylvie stundenlang in ihrem Kinderwagen spazieren. Anfangs plagte sie sich noch die steilen Straßen Lauschas hinauf und hinab, und oft landete sie dabei an der Kirchenbaustelle, wo tagein, tagaus emsig gearbeitet wurde. Wanda konnte nicht fassen, wie schnell die Arbeiter vorankamen. Mit Wehmut dachte sie an ihren ursprünglichen Plan, Richard im Herbst dieses Jahres in der neuen Kirche zu heiraten. Irgendwie schienen ihre Pläne und Ideen derzeit nicht sonderlich begehrt zu sein, ging es ihr in einem Anfall von Galgenhumor durch den Sinn. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, tröstete sie sich dann und setzte ihren Spaziergang fort. Um die Gründler-Hütte machte sie dabei einen großen Bogen.
    Nachdem sie ein paar Tage später einen neuen Weg entdeckt hatte, der ein Stück von ihrem Haus entfernt in den Wald führte, mied sie das Dorf ganz. Als sie eines Abends ihrem Großvater den Weg beschrieb, erfuhr sie von ihm, daß es sich um die »Mordschlucht« handelte, die so genannt wurde, weil dort vor einigen Jahren ein junges Mädchen ermordet worden war. Ein zweites Mal würde dies gewiß nicht geschehen, beruhigte Wanda den altenMann, der es lieber gesehen hätte, wenn Wanda zur Herzog-Kasimir-Höhe oder anderen unverfänglicheren Orten gewandert wäre.
    Im tiefen Wald, dort, wo es kühl und schattig war, auf den dick mit alten Fichtennadeln gepolsterten Wegen, die jeden Schritt schluckten, dachte Wanda über ihr Leben nach. Vielleicht lag es an der harzigen Luft, am beruhigenden Dunkelgrün, das ihrem Auge schmeichelte, vielleicht auch am ständig wechselnden Spiel von Licht und Schatten, daß sich ihre innere Unruhe allmählich auflöste wie Nebel an einem sonnigen Vormittag. Sie hatte doch alles, was sie zum Glücklichsein brauchte, ging es ihr durch den Kopf. Eine Familie. Ein liebes Kind. Eva, die ihr mit Sylvie half. Richard, der sich um sie sorgte – im Augenblick allerdings weniger, als ihr lieb war. Aber war das angesichts seiner Ausstellung ein Wunder?
    Richards Ausstellung …
    Gedankenverloren schaute Wanda einer grünschimmernden Libelle nach, die über einem kleinen Wasserloch ihre Kreise zog.
    Da kümmerte sie sich um alles und jeden, aber auf die Idee,

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