Das gläserne Paradies
einen Sonnenschirm mitgenommen, dachte Wanda, als sie den Bahnhof verlieÃen. Sie hatte darauf verzichtet, weil ihr solch ein Accessoire als zu verspielt erschienen war. SchlieÃlich wollte sie nicht wie ein kokettes Püppchen auftreten, sondern wie eine Frau von Welt. Eine Geschäftsfrau.
Wanda schnaubte. Wenn die Frau von Welt vor lauter Hitze völlig verschwitzt und aufgelöst in der Bank erschien, würde das bestimmt keinen guten Eindruck machen â¦
»Das ist ein Kaiserwetter, nicht wahr?« Karl der Schweizer Flein lachte, während er mit raschen Schritten in Richtung Marktplatz ging.
»Wenn Engel reisen«, fügte Gustav Müller Sohn hinzu. Und lachte ebenfalls.
»Ziemlich ahnungslose Engel, in unserem Fall.« Martin Ehrenpreis kicherte.
Wanda holte tief Luft. Das konnte ja heiter werden.
Mit jeder Meile, die der Zug von Lauscha nach Sonneberg zurücklegte, hatten sich die drei immer mehr von gestandenen Mannsbildern zu albernen PossenreiÃern entwickelt. Anfangs hatte Wanda noch mitgelacht und erleichtert festgestellt, daà die Männer angesichts des wichtigen Tages ihre Fröhlichkeit nicht verloren. Doch als sie auf halber Strecke versucht hatte, das Gespräch wieder auf den nahenden Banktermin, eine mögliche Vorgehensweise im Gespräch und ähnliches zu bringen, war sie auf taube Ohren gestoÃen. Statt dessen hatten die Männer weiter herumgeblödelt, was ihnen schräge Blicke von den Mitreisenden einbrachte.
Unwillkürlich hatte Wanda an ihre Reise mit Richard denken müssen. Auch er war damals völlig verändert gewesen. Unsicher. Aggressiv.
Wanda atmete leise auf.
Richard. Zum Glück war er an diesem Tag nicht auch noch dabei. Er und ihr Vater â dann wäre die Runde wirklich komplett gewesen!
Andererseits: Eine Hand zum Festhalten, eine Schulter zum Anlehnen wären nicht das schlechteste gewesen. Wanda seufzte sehnsüchtig auf.
»Was bin ich froh, daà heute endlich der groÃe Tag ist!« hatte sie am Morgen zu Richard gesagt, als er zumFrühstück herübergekommen war. »Die Warterei macht einen noch ganz verrückt!«
Und Richard hatte sie erst erstaunt, dann strahlend angeschaut und gemeint, auch er sei unglaublich gespannt auf die Räumlichkeiten, die Täuber ihm zeigen wolle. Endlich gehe es voran ⦠Dann hatte er herzhaft in ein dickes Marmeladenbrot gebissen.
Richard hatte nicht einmal gewuÃt, wovon sie redete. Dabei gab es kein anderes Dorfgespräch mehr! Nur ihm war anscheinend seine Ausstellung in Meiningen wichtiger. So viel wichtiger, daà er ihr nicht einmal Glück gewünscht hatte.
Ein leichtes Zittern fuhr Wanda über den Rücken. Worauf hatte sie sich da nur wieder eingelassen? Warum hatte sie nicht einfach nein sagen können, als die anderen sie baten, mit nach Sonneberg zu fahren? Genausogut hätte sie jetzt mit Richard auf dem Weg nach Meiningen sein können.
Was wuÃte sie schon von Geldgeschäften? Gut, sie war in einem Geschäftshaushalt aufgewachsen. Und eine Zeitlang war sie mit einem New Yorker Banker verlobt gewesen, damals, in ihrem früheren Leben. Aber galt dies schon als »Erfahrung in Bankgeschäften«? Genau das hatte sie den Männern zu erklären versucht.
Dann solle sie wenigstens als »moralische« Unterstützung mitgehen, hatten die Männer gebeten. Eine hübsche, junge Frau aus New York â redegewandt, forsch â mache bestimmt einen guten Eindruck. Vielleicht könne man auch einmal den Namen Steven Miles fallenlassen. Wandas Stiefvater sei in Sonneberg schlieÃlich kein Unbekannter, sondern ein hochgeschätzter Geschäftspartner vieler Verleger und Heimgewerbetreibender.
Das Reden selbst würde Karl dann übernehmen. Wandasolle lediglich die Augen und die Ohren offenhalten, für alle Fälle sozusagen.
Moralische Unterstützung â das hörte sich eigentlich ganz harmlos an. Aber warum fühlte sie sich dann trotzdem so verantwortlich? Keiner ihrer drei Begleiter hatte in Bankangelegenheiten Erfahrung, Karl war der einzige, der bei der Lauschaer Sparkasse ein Konto besaÃ. Als Kreditgeber hielt er die Sparkasse jedoch für ungeeignet, sie war eher die »Bank der kleinen Leute«, erklärte er ihr. Und zu denen zählte er sich und die Mitglieder der Genossenschaft ganz offensichtlich nicht mehr. Er war dafür, zur gröÃten und
Weitere Kostenlose Bücher