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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Schnittblumen vor dem Floristengeschäft. Wo Lauscha heimelig und ein Dorf war, in dem jeder jeden kannte,spürte Wanda in der größeren Stadt eine Art von Anonymität, wie sie ihr aus New York bekannt war. Es erstaunte und erschreckte sie zugleich, wie sie es genoß, nicht alle paar Schritte von einem bekannten Gesicht angesprochen zu werden. Dazu herrschte hier in den Straßen ein solch reges Treiben, daß Wanda versucht war, den Banktermin sausenzulassen und sich statt dessen auf einen ausgiebigen Einkaufsbummel zu begeben. Ach, sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie es sich anfühlte, durch Geschäfte zu schlendern, sich schöne Dinge vorlegen zu lassen, Stoffe zu prüfen, Seidenblumen ans Revers zu halten, zwischen einem Schal und einer Stola zu wählen! Sie nahm sich vor, dies so bald wie möglich nachzuholen. Vielleicht mit Sylvie und Eva im Schlepptau? Sie würde Eva als Dankeschön für ihre Hilfe etwas Hübsches kaufen, etwas Modisches, etwas –
    Aber wer hatte in Lauscha schon Zeit für modischen Schnickschnack, fragte sich Wanda im selben Moment. Im gläsernen Paradies waren andere Dinge wichtig.
    Unauffällig wanderte ihr Blick zu ihren Begleitern hinüber. Alle drei trugen ihre Sonntagskleidung, was bedeutete, daß Karl mitten im Hochsommer mit viel zu schweren, auf Hochglanz polierten Lederstiefeln daherkam und Martin Ehrenpreis’ bestickte Weste über seiner Wampe derart spannte, daß die goldfarbenen Knöpfe halb durch die Knopflöcher gequetscht wurden. Gustav Müller Sohn trug ein gebügeltes langärmeliges Hemd, das hinten teilweise aus der Hose hing.
    Unwillkürlich mußte Wanda lachen. Einen sehr geschäftsmäßigen Eindruck machten die Männer wirklich nicht … Aber kam es darauf an? Ging es nicht vielmehr um eine überzeugende Geschäftsidee?
    Â»Hast du vor, auf einen Staatsempfang zu gehen?« hatteEva gespottet, als Wanda ihr dunkelblaues Seidenkostüm aus dem Schrank holte. Dazu trug sie halbhohe Schuhe, eine farblich passende Handtasche und einen kleinen Hut mit Federschmuck.
    Das letzte Mal hatte sie diese Kombination während ihrer Überfahrt von New York nach Hamburg getragen. Erwachsen hatte sie sich darin gefühlt, gereift und sicher. Und so war das Kleid für sie zu einem Symbol des Neuanfangs geworden. Daß dieser Neuanfang beim letzten Mal völlig anders ausgefallen war, als sie es sich ausgemalt hatte, verdrängte sie.

21. K APITEL
    Â»Was der August nicht kocht, kann der September nicht braten« – wo hatte er diesen Spruch schon mal gehört?
    David Wagner starrte aus dem Fenster. Es dauerte einen Moment, bis ihm einfiel, daß seine Großmutter ihn immer zitiert hatte. Als Kinder hatten sie ihr oft auf dem Acker helfen und sich dabei Bauernregeln aller Art anhören müssen.
    Die Großmutter – wer wohl jetzt den Hafer auf ihrem alten Acker erntete? Und ob der neue Besitzer auch Kartoffeln gesetzt hatte?
    Im August war Erntezeit. Auf den Wiesen, Feldern und Äckern war alles reif, erntereif.
    Nur sein eigenes Leben war dürr. So ausgedörrt und rissig wie der Boden rund um die Kastanienbäume, die er von seinem Fenster aus sehen konnte.
    Welchen Spruch die Großmutter – Gott hab sie selig –wohl für ihn parat haben würde? »Schuster, bleib bei deinen Leisten« womöglich?
    Gleich zwei Termine waren für diesen Vormittag in seinem Kalender eingetragen. Der zweite davon versprach durchaus interessant zu werden. Aber der erste … David verzog das Gesicht. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß die Leute – Glasbläser aus Lauscha – wahrscheinlich schon vor der Tür warteten. Sollen sie ruhig noch ein bißchen länger warten, dachte er und schämte sich ein wenig dafür.
    Macht war ein leises Tier.
    Wie gern hätte er die Ärmel hochgekrempelt, die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet, die Fenster weit aufgerissen, um so an etwas Luft zu kommen. Um nicht mehr so schwitzen zu müssen. Um dem Gefühl des Erstickens zu entgehen.
    Statt dessen stand er auf, trat vor den winzigen Spiegel, den er hinter einem Aktenschrank versteckt aufgehängt hatte, und prüfte seine Krawatte. Dunkelgraue Seide, ein bißchen abgewetzt an den Stellen, wo der Knoten tagtäglich gebunden wurde, aber sonst ganz ansehnlich. Das dunkle Grau ließ seine Haut

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