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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Distanz wahren. Danach würde er zu Gerhard Grosse gehen und den Fall vortragen. Doch ganz gleich, wie vehement er sich für die armen Schlucker einsetzte – er wußte meist schon vorher, daß sein Chef einen Kredit ablehnen würde. Oder daß er, falls er ihn tatsächlich gewährte, horrende Zinsen dafür verlangen würde.
    Â»Die Zeiten haben sich geändert, mein Junge!« bekam David dann regelmäßig zu hören. »Ein weiches Herz können wir uns nicht erlauben. Auch eine Bank wie die unsere muß schauen, wo sie bleibt!« Dann würde er noch seinen Standardspruch hinterherschicken: »Lieber zehn Geschäfte weniger als einen Verlust!« Sein Chef würde ihm auf die Schulter klopfen und ihm gleichzeitig zu verstehen geben, daß der richtige Kunde mit dem richtigen Anliegen selbstverständlich jederzeit willkommen wäre. Und daß es an David Wagner läge, die richtigen Kunden mit den richtigen Anliegen an Land zu ziehen. Große Fische eben. Schließlich brachten dies seine älteren, erfolgreicheren Kollegen auch fertig. Wollte er, David Wagner, als Versager daneben stehen? Mußte das Bankhaus Grosse daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen? Nicht, daß dies je laut ausgesprochen wurde!
    Macht war ein leises Tier.
    Und versperrte so manche Tür.
    Daß hier, in Sonneberg im Bankhaus Grosse, subtilere Spielregeln herrschten als dort, wo er herkam, hatte David schon vor langer Zeit lernen müssen.
    Dort, wo er herkam – aus dem wenige Meilen entfernt gelegenen Ort Steinach –, waren die Regeln einfach. Wer aus dem Schiefersteinbruch das Geld nach Hause brachte, hatte die Macht. Da dies meist die Männer waren, hattensie das Recht zu brüllen, ihren Willen durchzusetzen, zu drohen. All die Männer, die hier bei ihm antanzten, den Hut in der Hand kneteten, als handle es sich um Aladins Wunderlampe, waren dieselben Männer, die in der Wirtschaft von Davids Vater abends große Sprüche klopften. Danach wurde ein Mann beurteilt.
    Macht war in Steinach ein brüllendes Biest.
    Was denkst du nur für seltsame Dinge, schalt sich David. Es war ungewöhnlich, daß er Tagträumen nachhing, noch dazu solchen, die mit Steinach und seiner Familie zu tun hatten. Er warf einen raschen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach neun – Zeit, seine nächsten Kunden hereinzubitten! Ein letztes Mal rückte David die Krawatte zurecht, setzte sich aufrecht hin und drückte den Klingelknopf, der seiner Vorzimmerdame signalisierte, daß er zu großen Geschäften bereit war.

22. K APITEL
    Â»Und so sind wir die Repräsentanten der in der Entstehung befindlichen Genossenschaft ›Gründler-Hütte‹!« Wanda lächelte angestrengt. »Die nötigen neun Gründungsmitglieder sind gefunden, alle Papiere aufgesetzt.« Der Bankangestellte schaute von ihr zu seinen drei anderen Besuchern. Sein Kopfnicken war für Wanda nicht zu deuten. Warum sagte er nichts? Ihm mußten doch zig Fragen auf der Zunge liegen! Und warum sagten die anderen nichts? War nicht ausgemacht gewesen, daß sie nur als Unterstützung dabeisein sollte? Daß Karl das Reden übernahm? Statt dessen rutschten die drei Männer unruhig aufihren Stühlen herum wie drei Schulbuben, die Angst vor der nächsten Klassenarbeit hatten.
    Was blieb ihr also anderes übrig, als sich hier und jetzt David Wagner als Wortführer zu stellen? Die lange Wartezeit in dem nüchternen Vorzimmer, die gestrengen Blicke der Sekretärin bei jedem Hüsteln seitens der Besucher, die viel zu zierlichen Stühle, auf denen kein normaler Mann bequem sitzen konnte – all das hatte nicht gerade dazu beigetragen, die Nervosität der Glasbläser zu lindern. Von Karls großspurigen Reden wie »Wir werden dem Bankmenschen schon klar machen, daß er wahre Unternehmer vor sich hat!« und »Der Bankmensch wird sich die Finger danach lecken, uns einen Kredit geben zu dürfen!« war nichts mehr übriggeblieben. Als sie endlich zu ihm ins Büro gebeten wurden, hatte es nochmals eine halbe Ewigkeit gedauert, bis sie alle Platz genommen hatten. Was vor allem damit zusammenhing, daß die Männer darauf bestanden, Wanda direkt vor Wagners Schreibtisch zu plazieren, während Wanda viel lieber ganz hinten, auf dem Stuhl neben der Tür, Platz genommen hätte. Um die Diskussionen nicht ins Endlose auszuweiten, hatte

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