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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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verschicken mußte. Auf eigene Kosten.
    Doch trotz des Ärgers am Morgen strahlte Anna übers ganze Gesicht. Was für ein wunderbarer Tag!
    Immer wieder schaute Johannes von seinem Bolg herüber zu ihrem. Wenn sich ihre Blicke trafen, sah sie rasch fort. Johannes wußte nämlich, woher ihr Strahlen rührte, und das ärgerte sie.
    Richard war dagewesen.
    Wie früher. Als noch alles gut war.
    Nur mit Mühe konnte sich Anna auf ihre Arbeit konzentrieren. Und davon gab es reichlich: Hunderte von Glasrohlingen – die Glasbläser selbst nannten diese Teile nur »Stückchen« – warteten darauf, zu Kugeln aufgeblasen zu werden. Diese mußten am selben Abend noch zu Karline Braun gebracht werden, da die Bemalerin sonst am nächsten Tag ohne Arbeit dasitzen würde.
    Ein Seufzer entwich Annas Lippen. Daß es so anstrengend sein würde, die Werkstatt an Mutters Stelle zu führen,hätte sie nicht geglaubt. Jeden Tag waren unzählige von kleinen Entscheidungen zu treffen, und alle, auch Johannes, gingen wie selbstverständlich davon aus, daß sie es war, die sie traf. Anna mußte zugeben, daß ihr diese Tatsache schmeichelte. Aber gleichzeitig empfand sie einen Druck, der an ihrem Bruder spurlos vorüberzugehen schien: Für Johannes gab es nach wie vor nur die Arbeit am Bolg.
    Sie warf ihm einen unwirschen Blick zu, aber er grinste nur wissend.
    Anna schnappte aus einem Bündel neben sich ein neues Glasrohr und begann es in der Mitte unter gleichmäßigem Drehen zu erwärmen.
    Warum hatte man in diesem Haus nie seine Ruhe? Warum mußte immer jeder alles mitbekommen?
    Ein orangefarbenes Glühen in der Mitte des Rohres schreckte sie aus ihren Gedanken. Das Glas wurde flüssig!
    Hastig nahm sie das Rohr aus der Flamme und zog es in zwei Teile auseinander, so daß ein langer gerader Spieß entstand. Eine Rohrhälfte legte sie zur Seite, aus der anderen Hälfte zog sie nun ein Stückchen nach dem anderen. Mit der zweiten Rohrhälfte verfuhr sie danach ebenso.
    Wenn sie daran dachte, daß sie noch Hunderte von »Stückchen« auf diese Art vorbereiten mußte, wurde ihr ganz schwindlig. Warum habe ich diese Arbeit nicht an Magnus abgegeben? fragte sie sich. Dann hätte ich gleich mit dem eigentlichen Aufblasen beginnen können. Andererseits war diese Arbeit monoton genug, um in Ruhe nachdenken zu können.
    Zum Glück neigte Johannes nicht dazu, dumme Ratschläge zu geben.
    Â»Mach dir keine falschen Hoffnungen!
    Richard kommt doch nur, weil er deinen Rat als Glasbläserin braucht!
    Deute nicht mehr in seinen Besuch hinein, als da ist.«
    Annas Strahlen erlosch. War es ihre eigene innere Stimme, die sie warnte?
    Wie gut es sich angefühlt hatte, Seite an Seite mit Richard am Bolg zu sitzen! Wie sich ihre Schenkel immer wieder »zufällig« berührt hatten … So nahe war sie ihm schon lange nicht mehr gewesen. Ach, wenn sie diesem Mann nur endlich ihre Liebe gestehen könnte! Er mußte doch spüren, daß sie ihn liebte. Und daß sie die viel bessere Frau für ihn war als die Amerikanerin, die einen Mann wie Richard nie verstehen würde. Einen Glasbläser.
    Wenn sie doch nur mehr Zeit füreinander hätten! Mehr Möglichkeiten, sich auch einmal allein zu sehen. Ohne die anderen, die immer störten …
    Â»Hallo! Wo seid ihr denn? Natürlich in der Werkstatt, was frage ich so dumm!«
    Mit Schwung ging die Tür auf. Der Luftzug ließ für einen Moment sämtliche Flammen schräg werden.
    Irritiert schaute Anna auf.
    Wanda.
    Annas Lippen wurden zu zwei schmalen Linien. Was will die denn hier? Woher weiß sie, daß –
    Â»Na, ihr habt ja mächtig viel Arbeit, wie immer, was?« Als sei sie in der Werkstatt zu Hause, spazierte Wanda durch den Raum. An dem großen Büfett, das zur Aufbewahrung der Kartons und anderer Dinge diente, zog sie aus der obersten Schublade ein Taschentuch – Anna hatte es erst am selben Morgen frisch gewaschen und gebügelt dort hineingelegt. Lautstark schneuzte sie hinein. Konnte Madam nicht ihr eigenes Rotztuch dabeihaben? Mußte sie eins von ihren verplempern?
    Â»Wanda, wie schön!« Johannes strahlte. »Daß einewichtige Genossenschaftlerin überhaupt noch Zeit für so einfache Leute wie uns hat …«
    Â»Genossenschaftlerin – hör bloß auf!« Wanda lachte. »Manchmal

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