Das gläserne Tor
hinunterführte. Ein Mann stand vor einem großen zylinderförmigen Gebilde, das wie ein Paket verschnürt war. Sie öffnete den Mund, um ihn zu rufen, sah dann aber, dass es der Sklavenaufseher war.
Ihn wollte sie keinesfalls ansprechen, daher schwieg sie. Als er Anstalten machte, sich umzuwenden, presste sich eine Hand auf ihren Mund. Ein Arm legte sich um ihre Taille und zog sie nach hinten. Sie wusste sofort, es war Anschar, und sie hätte vor Erleichterung weinen mögen. Der Aufseher stieg die Stufen hinauf, aber da waren sie schon in einem Seitenraum verschwunden. Anschar presste sie an die Wand und bedeutete ihr, still zu sein. Sie lauschte auf die Schritte des Herscheden, die sich näherten und schließlich verklangen. Anschar wartete noch ein paar Augenblicke, dann steckte er den Kopf aus der Tür. Gemeinsam hasteten sie den Gang entlang. An seinem Ende warf er einen Blick zurück. Sie begriff, wonach er Ausschau hielt: nach Spuren, die seine Füße hinterlassen hatten. Doch der Boden war unbefleckt.
»Anschar!« Schelgiur schüttelte fassungslos das zottelige Haupt. »Was tust du hier? Müsstest du nicht noch in der Arena sein? Bei Hinarsyas Brüsten, die Nihaye ist auch da! Hat euch der Kampf so durstig gemacht?«
Grazia schlang ihren Mantel fest um sich, so durchdringend
sah der Wirt sie an. Sie war mit Anschar aus dem Palast gelaufen. Unbemerkt. Wortlos hatte er den Weg zur schwebenden Stadt eingeschlagen, und sie war ihm bereitwillig die wackligen Treppen hinunter zu Schelgiurs Wirtschaft gefolgt. In ihrer edlen Gewandung fiel sie auf, aber das war ihr gleichgültig. Sie war nur froh, dem schrecklichen unterirdischen Labyrinth entkommen zu sein.
»Sie ist keine … ach.« Anschar machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte den Fuß auf eine schmale Treppe dicht an der Felswand. »Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mich in deiner Kammer ausruhe. Ich wüsste nicht, wo ich sonst hin sollte.«
»Du meinst wohl, wo du mit ihr hin sollst, he?«, Schelgiur wies mit dem Daumen auf Grazia und grinste anzüglich. »Meinetwegen. Lass dir von ihr die Glieder massieren. Alle Glieder natürlich.«
Was immer er damit meinte, es entlockte auch Anschar ein Grinsen, das jedoch müde ausfiel. Der Wirt verschwand in seiner Felsennische. Grazia stieg hinter Anschar in eine kleine, zugige Kammer, die so niedrig war, dass man sich nicht aufrichten konnte. Eine dünne, schäbige Matratze war darin, ein paar Decken und eine Truhe an der Felswand. Anschar schob sich auf die Matratze, streckte die Beine aus und lehnte den Rücken an die Wand. Er sah tatsächlich sehr erschöpft aus.
Schelgiur steckte den Kopf durch die Bodenklappe und schob einen Krug und zwei Becher auf die Dielen. »Da in der Ecke ist eine Waschschüssel, da kannst du deine Füße waschen. In der Truhe findet sich auch etwas, womit du sie trocknen kannst. Übrigens, Rotschopf, ich weiß nichts Neues über den heiligen Mann. He, da reden schon die ersten Gäste über den Kampf. Wird ein gutes Geschäft heute!«
Er verschwand wieder und schlug die Klappe hinter sich zu. Anschar nahm die Schüssel von der Truhe und stellte sie neben
sich auf den Boden. »Heute früh wollte ich dir den Kopf dafür waschen, dass du Henon wegen dieses heiligen Mannes hierher schickst. Jetzt erscheint mir das so unwichtig.«
»Er freut sich, wenn er etwas tun kann«, verteidigte sie sich.
Er nickte nur.
»Anschar, warum warst du so darauf bedacht, dass der Sklavenaufseher uns nicht bemerkt?«
»Wegen dieses großen runden Gebildes unter dem Tuch. Man darf es nicht sehen. Man kann es nicht sehen, es ist unsichtbar. Du weißt nicht zufällig, was es sein könnte?«
»Ich? Woher denn?«
»Nun, ich dachte, man könnte das in deiner Welt vielleicht. Dinge unsichtbar machen.«
Grazia schüttelte fassungslos den Kopf. Ein unsichtbares Gebilde? Und er fand ihre Welt erstaunlich? »Ich habe keine Ahnung.«
Sie kniete an seiner Seite, nahm die Schüssel und stellte sie auf den Boden. Anschar klappte die Truhe neben sich auf und fischte ein leidlich sauberes Tuch heraus. Dann leerte er die Schüssel über einer Spalte im Boden aus. Unten hörte sie Schelgiur über den unerwarteten Guss fluchen.
»Ich nehme an, dein Wasser ist sauberer«, sagte Anschar und stellte die Schale wieder hin. Er atmete tief ein, als sich die Schüssel wie von Geisterhand füllte, sagte dazu aber nichts. Er wirkte müde. Als er sich zu seinen Füßen vorbeugte, sah sie seine Armmuskeln
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