Das gläserne Tor
gut gelaunt aus.
Er hatte nichts an, nur einen eilig um die Hüften geschlungenen Rock. Fidya, die sich an ihre Seite setzte, sortierte ihr Gewand. Mittlerweile war ein Schwangerschaftsbäuchlein zu erkennen. Sie verströmte einen herben, sinnlichen Duft. »Bitte, Madyur, sei milde«, sagte sie.
»Das bin ich, andernfalls hätte ich sie schon verprügelt.«
»Mich?«, hauchte Grazia.
»Ja, dich! Du wusstest ganz genau, dass du nicht fortlaufen darfst, schon gar nicht in Mallayurs Palast. Sind alle Frauen deines Volkes so ungehorsam wie du? Was ist dir bloß in den Sinn gekommen?«
»Aber das weißt du doch«, warf Fidya ein.
»Halt du den Mund!«
Grazia schluckte. Er war tatsächlich sehr wütend. »Ich musste einfach wissen, wie es Anschar geht«, verteidigte sie sich. »Und es ist ja auch gar nichts passiert.«
Er schnaufte schwer und deutete mit dem Finger auf sie. »Passiert ist in jedem Falle, dass du leichtsinnig geworden bist. Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich dir Buyudrar und Schemgad an die Seite gestellt. Was wirst du als Nächstes tun?«
»Nichts. Du wirst mich ja sicher wieder einsperren.«
»Worauf du dich verlassen kannst! Und zwar gut bewacht. Deinetwegen muss ich auf meine letzten beiden Leibwächter verzichten.«
»Und wenn Mallayur die auch zum Zweikampf bestellt?«
»Werde nicht frech, ja?« Er beugte sich so weit vor, dass sie unwillkürlich zurückwich. »Das kann er erst anlässlich des nächsten Götterpaarfestes, also in einem Jahr. Bis dahin werde ich hoffentlich geeignete Anwärter finden, um die Zehn aufzustocken. Verlieren werden sie gegen Anschar aber so oder so. Es sei denn, du lässt wieder Wassertropfen fliegen.«
»War das so offensichtlich?«, fragte sie beklommen.
»Zum Glück nicht. Nein, es sah aus, als hätte Darur Schweiß in die Augen bekommen. Würde ich dich nicht schon kennen, wäre es mir nicht aufgefallen. Du bist imstande, Zweikämpfe zu entscheiden, ist dir das eigentlich klar? Gewiss nicht. Ich sollte …« Er richtete sich auf und verschränkte die Arme. »Lenk mich nicht ab! Frau, wirst du zukünftig gehorsamer sein?«
Was sollte sie darauf sagen? Sie wollte es, aber genauso wollte sie die Gelegenheit nutzen, Anschar zu sehen, sollte sich je wieder eine ergeben. »Ich versuche es.«
Er rollte die Augen. Sie hoffte, dass er keinen Schwur verlangte, aber auf den Gedanken kam er gottlob nicht. Scheinbar etwas ruhiger, setzte er sich an ihre andere Seite und senkte die Stimme.
»Für deinen Ungehorsam schuldest du mir etwas, findest du nicht?«
Was das war, konnte sie sich denken. Sie hatte das dumme Badebecken immer noch nicht ganz gefüllt. Nicht aus Trotz, sondern weil es ihr Mühe bereitete. Zwar bedeutete es mit jedem Tag etwas weniger Mühe, aber sie hatte ihn nicht zufriedenstellen können, als er zuletzt bei ihr gewesen war.
»Morgen ist der zweite Tag des Festes«, fuhr er fort, da sie schwieg. »Es wird ein großes Opfer geben.«
»War das heute nicht groß genug?«, fragte sie kühl.
»Es ist der zweite Tag, daher wird es ein zweites Opfer geben. Ein gewöhnliches Tieropfer. Danach will ich, dass du deine Wasserkunst zeigst. Es werden viele wichtige Leute anwesend sein. Die Gesandten anderer Städte und Länder, ja, und natürlich mein windiger Bruder. Du darfst nicht versagen. Ich verlange nichts Großes von dir. Nur das, was du mir schon gezeigt hast. Das kannst du doch, oder?«
Langsam nickte sie.
»Gut. Das Blutopfer soll dich dabei unterstützen.«
»Meinetwegen wäre das bestimmt nicht nötig!«
Er winkte ab. »Versprich mir, dass du tust, was du kannst, und dich nicht sperrst.«
»Ich verspreche es«, beeilte sie sich zu sagen. Dieses Zugeständnis musste sie ihm machen, und er nickte, einigermaßen zufriedengestellt.
»Das wäre alles.« Er stand wieder auf und rief den Leibwächter herbei, der vor der Halle gewartet hatte. »Buyudrar! Bring sie zurück und pass auf sie auf. Und du, Vögelchen«, er zog Fidya von der Bank hoch. »Wir beide sind noch nicht fertig.«
Fidya kicherte und warf Grazia einen Blick zu, der gespieltes Bedauern ausdrückte. Grazia wünschte ihr in Gedanken viel Vergnügen und eilte aus der Halle.
15
D er zweite Tag des Festes begann mit einer Prozession. Eine Kette von weiß gekleideten Priestern, die Rasselinstrumente schwangen, schritt in Richtung des Tempels die Prachtstraße entlang. Heute würde dort der Meya mit seiner Gemahlin, der Hohen Priesterin, die Hochzeit des Götterpaares
Weitere Kostenlose Bücher