Das gläserne Tor
leichtgefallen. Du stellst mich vor eine schwierige Aufgabe. Ich will den besten aller Leibwächter haben, will aber auch einen gehorsamen Leibwächter. Einen, der vorbehaltlos für mich einsteht. Würdest du tatsächlich dein Leben für mich geben, wenn es darauf ankäme? Sei ehrlich.«
Anschar musste sich zwingen, nicht die Fäuste zu ballen, denn das würde Mallayur sehen. Der Drang, ihn anzugreifen, versandete irgendwo in den Tiefen seiner Sklavenseele. Enttäuscht biss er sich wieder auf die Lippe. Seine Erziehung war schlecht? Nein, Mallayur, dachte er, sie rettet dir gerade das Leben.
»Dein Schweigen ist Antwort genug. Was jetzt? Ich will dich nicht andauernd peitschen lassen, bis du es irgendwann begreifst. Es würde deinen Körper irgendwann ruinieren. Steh auf und sieh mich an.«
Das tat Anschar. Seine Knie hatten sich inzwischen gefestigt. Dicht vor ihm baute sich Mallayur auf, doch er war ein paar Fingerbreit kleiner und musste zu Anschar, der ihm unverwandt in die Augen starrte, aufsehen. Mallayur mahlte mit den Kiefern, presste die Lippen zusammen. Plötzlich drehte er sich weg und machte eine ärgerliche Handbewegung.
»Knie dich wieder hin.«
Sobald Anschar das getan hatte, wandte er sich ihm wieder zu. Die gewohnte Selbstsicherheit kehrte in Mallayurs Miene zurück.
»Siehst du, ein anderer Sklave hätte nicht so gehandelt.«
»Ich habe dir gehorcht.«
»Ja, schon! Eigentlich hätte es dich aber Überwindung kosten sollen. Stattdessen springst du nachgerade auf die Füße und tust so, als seist du mir ebenbürtig. Mach es noch einmal.«
Anschar gehorchte erneut. Diesmal ließ er sich etwas mehr Zeit, wenngleich er es nicht schaffte, das vorzutäuschen, was Mallayur offensichtlich sehen wollte.
»Knie dich wieder hin.«
Ging das jetzt die nächsten Stunden so weiter? Er überlegte, ob er einfach fragen sollte.
»Bist du etwa gereizt?«, fragte Mallayur.
»Nein.«
»Ah. Das kam nicht überzeugend. Begreifst du es wirklich nicht? Hier herrscht ein anderer Wind, das ist noch nicht so ganz in deinen Schädel gedrungen. Du musst es verinnerlichen, verstehst du? Du musst deinen eigenen Willen unterdrücken, bis du ihn irgendwann vergisst. Bis du nur noch weißt, dass du zu gehorchen hast. Du sollst als mein Leibwächter hinter mir stehen, und wenn Madyur dich sieht, soll er erkennen, dass du nicht mehr der Mann bist, den er mir geschenkt hat.«
»Und das willst du erreichen, indem ich Kniebeugen mache?«
Mallayur war überraschend schnell. Schon stand er über ihm und schlug ihm ins Gesicht. Es war ein harter Schlag. Kein Laut kam über Anschars Lippen, doch er konnte es nicht verhindern, dass sein Kopf zur Seite flog. Dicht vor seinen Augen ballte Mallayur eine Faust, als habe er sich mit diesem Hieb selbst Schmerzen zugefügt.
»Ich erreiche es, indem ich dich eine Zeit lang in die Papierwerkstätten schicke. Keine angemessene Belohnung für einen siegreichen Kämpfer. Aber das hast du dir durch deine Unbotmäßigkeit selbst zuzuschreiben.« Hart lachte er auf. »Ja, endlich sehe ich so etwas wie Entsetzen in deinen Augen. Gut, gut, allein dafür war es das schon wert. Du wirst sofort aufbrechen. Geh zu Egnasch, der bringt dich zum Palasttor.«
Etwas benommen stand Anschar auf, öffnete die Tür und wischte sich im Hinausgehen das Blut aus dem Mundwinkel. Ihm entging nicht, wie Egnasch grinsend die Brauen hob. Die Papierwerkstätten!, hämmerte es in seinem Kopf. Er hatte mit einer harten Strafe gerechnet – mit dieser Auspeitschung oder dass man ihn wegsperrte. Jedoch nicht damit. Er packte Egnasch an den Schultern, drehte ihn um und rammte ihn so
fest gegen die Wand, dass er Zähne splittern hörte. Wenigstens in der kurzen Zeit, die es dauerte, zum Tor zu kommen, würde er dieses ekelhafte Grinsen nicht mehr sehen. Und die grässliche Strafe war nun ein klein wenig angemessener.
16
S echs schwer bewaffnete herschedische Reiter erwarteten ihn auf der Straße vor dem Palast. Ein siebtes Pferd stand bereit. Anschar stellte den Fuß in die Sattelschlaufe und stemmte sich hoch. Die Männer richteten kein Wort an ihn; einer warf ihm lediglich einen Umhang zu, damit er den Rücken bedecken konnte. Es schien sie befangen zu machen, dass in ihrer Mitte einer der Zehn ritt, zerlumpt und blutend. Wenigstens ersparten sie ihm, mit gefesselten Händen reiten zu müssen, wenngleich es die Sache kaum weniger erniedrigend machte. Er versuchte die Blicke der Leute, an denen sie vorbeiritten, zu
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