Das gläserne Tor
Bescheid.« Er schnitt die Leine durch, wog ihr Ende in der Hand und nickte dann. »Die Leine ist noch lang genug für euch zwei.«
Er führte den Mann wie einen Hund hinaus vor die Hütte, legte das lose Ende um Anschars Hals und verknotete die einzelnen Fasern. Zweifellos war er sehr geschickt darin, den Knoten die nötige Festigkeit zu geben, sodass sie sich nicht lösen ließen. Dann klopfte er ihm auf die Schulter.
»Du gewöhnst dich schon daran.« Er lachte. »Die Männer sind ungern allein, weißt du.«
Anschar sah dem Mann nach, wie er in Richtung der Halle davonstapfte. Seine Finger hingen an der Leine. Sie war nicht zu lösen, das wusste er. Schließlich betrachtete er den Sklaven, dessen andauernde Gegenwart er nun ertragen musste, genauer. Er war ein Wüstenmann, groß, drahtig, mit nachtschwarzem Bart, der das ledrige Gesicht halb verdeckte, und dem unverkennbaren erdfarbenen Hautton.
»Was starrst du mich so an?«, schnaubte Parrad. »Ist nicht mein Wunsch gewesen, dir die Leine umzulegen.«
»Das interessiert mich nicht!« Anschar packte die Leine, sodass Parrad näher heranstolperte. »Ich versuche mich gerade an den Gedanken zu gewöhnen, auf Gedeih und Verderb mit einem Wüstenhund verbunden zu sein. Und das fällt mir schwerer als alles, was ich bisher hier gesehen habe!«
»Du hast doch noch gar nichts gesehen«, erwiderte Parrad ruhig.
Anschar ließ die Leine los. Es hatte keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Die anderen Sklaven hatten zaghaft die Köpfe gehoben. Er schüttelte sich vor Abscheu. Im Gegensatz zu seinen Schlafgenossen im Palast von Heria waren diese auch noch zerlumpt und zerzaust.
»Iss doch erst einmal etwas.« Parrad wies auf seine Matte, wo sein Napf stand. »Danach zeige ich dir alles.«
Er hockte sich hin. Die Leine spannte sich. Anschar blieb nichts anderes übrig, als sich neben ihn zu setzen. Den dargebotenen Graswurzelbrei rührte er jedoch nicht an. Die Männer steckten wieder die Nasen in ihre Näpfe. Aus den Augenwinkeln musterten sie ihn weiterhin.
»Ich bin ganz froh, wieder einen Leinengenossen zu haben«, sagte Parrad. »Eine Woche an den Pfosten gebunden zu sein, ist nämlich noch unangenehmer. Dabei habe ich gar nicht vorgehabt, wegzulaufen. Es gibt hier zwar keine Mauern oder Zäune, aber an allen Ecken und Enden Wachen.
Trotzdem wäre es möglich, von hier fortzukommen, aber wohin? In südöstlicher Richtung ist die Klippe. Man kann dort nirgends unbemerkt hinunterklettern, und selbst wenn – unten sind immer Sklavenfänger unterwegs. Im Osten ist der Hyregor, da gibt es nur bewaldete Hänge und Felsen. Da kann man zwar umherirren, aber nicht überleben. Ansonsten läuft man immer Menschen in die Arme, die einen sofort einfangen.«
»Ist das deine Aufgabe?«, fragte Anschar spöttisch. »Den Neuen sofort den Gedanken an Flucht auszutreiben? Oder redest du immer so viel?«
»Nein.« Parrad stopfte sich den Rest seines Breis in den Mund und wischte sich die Brocken aus dem Bart. Welche der Fragen er damit beantwortet hatte, war Anschar nicht klar, aber es interessierte ihn auch nicht. Zu sehr kämpfte er noch mit seinem Entsetzen, zu den Wüstenmenschen gesteckt worden zu sein. Er wusste, dass auch Herscheden hier schufteten, in einem anderen Lager ganz in der Nähe. Natürlich war er davon ausgegangen, dorthin gebracht zu werden, aber es gehörte offenbar zu Mallayurs Anweisungen, ihn auf diese Weise zusätzlich zu demütigen.
»Welcher Sklave denkt schon an Flucht?« Parrad angelte von irgendwoher ein Säckchen und griff hinein. »Ich meine, sie denken nicht einmal daran, geschweige denn, dass sie es erwägen. Nur, du bist anscheinend kein gewöhnlicher Sklave, daher erkläre ich es dir lieber. Nicht dass du eines Nachts an der Leine zerrst und erwartest, ich ginge mit dir.«
»Das wäre wohl kaum ratsam. Wie soll man auch nur eine Stunde weit kommen, wenn man aneinandergebunden ist?«
»Das ist ja auch der Zweck der Bänder. Es kommt nur selten vor, dass ein Sklave allein herumlaufen darf, wenn sich die Wächter sicher sind, dass er nicht verschwindet. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, du kommst hier nicht
weg. Was hat es mit dieser Tätowierung auf sich? Ich habe keine Ahnung, worauf Fargiur da anspielte.«
Anschar gab einen schnaubenden Laut von sich, sagte aber nichts.
»Scheint nicht so wichtig zu sein«, brummte Parrad. »Jetzt zeig mir deinen Rücken. In deine Wunden gehört Salz, dann verheilen sie besser.«
Er
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