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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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dagegen, um nicht zu fallen. Er versuchte sich mit der Überlegung abzulenken, wann er früher gepeitscht worden war. Richtig gepeitscht, nicht hier und da ein warnender Hieb. Als Junge gewiss. Auch noch in der Zeit, als er zu einem Krieger ausgebildet worden war. Aber man war gnädig gewesen, er hatte nie Narben davongetragen. Oder wenige, die längst verblasst waren. Egnasch aber war kein gnädiger Mensch.
    Ein Hieb folgte, in den der verhasste Aufseher seine ganze verbliebene Kraft zu legen schien. Anschar verkeilte die Finger hinter dem Pfahl und schlug die Stirn gegen das Holz.
    »Es ist genug«, sagte Mallayur.
    Egnasch stieß einen Laut aus, der enttäuscht klang und in ein erschöpftes Keuchen überging. Anschar hörte, wie er irgendwohin stapfte und sich prustend einen Wasserkrug über den Kopf goss.
    »Gib ihm auch etwas und binde ihn los.«
    Ein Wasserschwall ergoss sich über seinen Rücken. Seine Finger spreizten sich vor Schreck. Ein letztes Mal musste er die Zähne in das Beißholz bohren, bevor er es ausspuckte. Egnaschs schlechter Atem näherte sich ihm. Anschar sah durch den Schleier tränenverklebter Augen eine Klinge aufblitzen. Ein kurzer Schnitt, und seine Hände waren frei.
Doch er umarmte weiterhin das Holz, da er noch nicht wusste, ob er stehen konnte.
    »Egnasch, verschwinde.«
    Der Aufseher stapfte aus dem Raum. Eine Tür klappte.
    »Du hast den Pfahl gern, wie?« Mallayur lachte leise. »Versuchst du dir vorzugaukeln, er sei die Rothaarige?«
    Anschar bemühte sich um einen sicheren Stand und ließ langsam die Arme sinken. Er wollte nicht, dass Grazia verhöhnt wurde, selbst wenn es bedeutete, dass er hinfiel. Aber es gelang ihm, stehen zu bleiben. Er machte einen vorsichtigen Schritt zurück. Der Boden war schlüpfrig von seinem Schweiß. Seine Haare trieften vor Nässe, und das kam nicht vom Wasser. Er streifte die Zöpfe nach vorn, damit sie nicht mit den Wunden auf seinem Rücken verklebten, und wischte sich das Blut von der Unterlippe. Dann bückte er sich nach seinem Rock, steif und langsam wie ein alter Mann, doch bevor er ihn greifen konnte, landete ein graues Leinenbündel vor seinen Füßen.
    »Nein. Zieh das an.«
    Anschar hob es hoch. Es war sauber, aber so ausgefranst und verwaschen, dass es schon Jahrhunderte alt sein mochte. Wären keine Bänder daran gewesen, hätte er es für einen Putzlappen gehalten. Er legte sich das Leinen um die Hüften und band es fest. Seine Finger waren so zittrig, dass er elend lange dafür brauchte. Der Rock war kürzer als die üblichen knielangen Wickelröcke, und bisher hatte er noch keinen Sklaven gesehen, der mit solch einem Lumpen herumlaufen musste.
    »Und jetzt auf die Knie, Sklave«, befahl Mallayur. Beinahe war Anschar dankbar für diesen Befehl, denn so konnte er sich ausruhen. Er starrte in die dunklen Ecken des kahlen Bestrafungsraumes, während sein Herr sich ihm von der Seite näherte.

    »Nach diesem doch recht ansehnlichen Zweikampf, in dem du einen der Zehn getötet hast, hatte ich geglaubt, du hättest dich in dein neues Leben geschickt. Ich glaubte, man könne dich jetzt vorzeigen. Leider war es ein Irrtum. Du hast mich bis auf die Knochen blamiert. Den Meya anzuschreien! Durftest du das etwa, als du noch bei ihm warst? Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    Anschar hatte kaum zugehört, da er noch zu sehr damit beschäftigt war, zu Atem zu kommen und den Wunsch niederzukämpfen, Mallayur anzuspringen und zu erwürgen. So sehr hatte ihn die Auspeitschung nicht geschwächt, als dass er keine Gefahr mehr gewesen wäre. Er brauchte nur wenige Augenblicke, um zu Kräften zu kommen, und Mallayur war nicht bewaffnet. Und selbst wenn – das machte keinen Unterschied. Nicht für ihn.
    »Du schweigst«, redete Mallayur weiter. »Aus Verstocktheit, nehme ich an. Deine nachlässige Erziehung macht sich andauernd bemerkbar. Bei meinem Bruder mag das nicht ins Gewicht gefallen sein, er mochte das ja so.«
    Anschar konnte den Blick seines Herrn auf der geschundenen Haut spüren. »Hätte er es anders gesehen, wäre ich keiner der Zehn geworden«, antwortete er und ärgerte sich, dass seine Stimme so rau klang.
    »Das lässt sich hinterher leicht sagen.« Mallayur klang ganz sachlich, als kniee der, mit dem er das Problem besprach, gar nicht vor ihm, mit zerschundenem Rücken, getränkt vom eigenen Schweiß, der allmählich erkaltete. »Vielleicht wärst du aber ein noch besserer Krieger. Mit Darur fertig zu werden, ist dir ja nicht gerade

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