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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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mit Daumen- und Zeigefingernagel über die Kanten. Er schien die Begutachtung der Ware, die hier hergestellt wurde, wie ein gutes Essen zu genießen, und runzelte unwillig über die Störung die Stirn. Doch kaum hatte er Anschar gesehen, sprang er so heftig auf, dass die Blätter vom Tisch fielen. Der Wächter beeilte sich, ihm die Schriftrolle zu übergeben.
    »Hol den Aufseher«, befahl der Werkstattleiter, dann las er den Brief. Langsam ließ er ihn sinken. »Das Siegel des Königs. Ich dachte, du dienst dem Meya?«
    »Bis vor einem Monat war das noch so«, erwiderte Anschar.
    Der Leiter schüttelte den Kopf. Wieder und wieder, so schien es, überflog er das Geflecht der Schriftzeichen. Schweigen setzte ein, das erst unterbrochen wurde, als der Wächter zurückkehrte, diesmal mit einem zweiten Mann, der unzweifelhaft der Aufseher war, denn er hatte eine Peitsche bei sich. Er trug einen leidenschaftslosen Gesichtsausdruck zur Schau, und auch sonst unterschied er sich nur unwesentlich von Egnasch. Er drückte den Peitschengriff gegen Anschars Schulter.
    »Hast ja schon einiges hinter dir. Wer immer dir das Striemennetz verpasst hat, weiß mit der Peitsche umzugehen.«
    »Fargiur, er ist einer der Zehn.«
    Der Aufseher hob eine Braue. »Ist er das hier auch noch?«
    »Nein. Aber da steht, dass er eine Sonderbehandlung bekommt. Er soll wegen wunder Füße noch nicht in die Becken müssen. Es liegt in deinem Ermessen, zu entscheiden, wann er so weit ist. Wir haben einen Mann, der derzeit allein ist, oder?«

    »Ja. Parrad.«
    »Dann weißt du ja, was zu tun ist. Und nimm ihm das Sklavenzeichen ab. Es ist viel zu auffällig. Ich werde es verwahren.« Aufseufzend ergriff der Leiter wieder seine Papiere, schnüffelte und zupfte an ihnen herum, doch er vermochte kaum den Blick von Anschars Tätowierung zu nehmen.
    Fargiur nahm ein Messer zu Hilfe, um die Öse der silbernen Heria aufzubiegen. Er wog das Schmuckstück in der Hand und legte es auf den Tisch. Mit dem Peitschengriff klopfte er gegen Anschars Schenkel. »Zeig her.«
    Nacheinander kehrte Anschar die Fußsohlen nach oben. Den zweiten Fuß hielt der Aufseher mit der Peitsche fest. Anschar kam sich vor wie ein Pferd, dessen Hufe kontrolliert wurden.
    »Die Schnitte sind nicht frisch. Wenn bei meinem fetten Weib die Hornhaut aufreißt, sieht das auch nicht viel anders aus.« Der Aufseher lachte über seinen Witz und ließ das Bein los. »Na schön, ein paar Tage Schonung will ich ihm zugestehen. Derweil kann er sich beim Schöpfen nützlich machen. Oder darf er das auch nicht, weil es der schönen Tätowierung schadet?«
    So viel Geringschätzung gegenüber einem der Zehn hatte Anschar bisher selten erlebt. Aber anderes war hier wohl nicht zu erwarten. Der Leiter machte eine Handbewegung, die ausdrückte, dass er von solchen Fragen verschont bleiben wollte, und winkte sie hinaus. Der Aufseher führte Anschar zu einer von vielen, ohne jede Ordnung auf dem Gelände verteilten Hütten. Es war kaum mehr als ein überdachter Unterstand mit halbhohen Wänden aus Grasgeflecht, die nur notdürftig Schutz vor Wind und Sonne boten. Auf dicht an dicht liegenden Schlafmatten, die den Geruch jahrhundertealter Flecken verströmten, hockten mehrere Sklaven und schaufelten weißen Brei in sich hinein.

    »Hier wirst du schlafen«, erklärte Fargiur.
    »Augenblick! Das sind Wüstenmänner. Wieso bin ich hier und nicht bei den herschedischen Gefangenen?«
    »Du hast doch gehört, dass du eine Sonderbehandlung bekommst.«
    »Mag sein. Aber doch nicht so.« Anschar wollte kehrtmachen und in das Haus des Werkstattleiters gehen. Ein Hieb quer über seinen Rücken hielt ihn davon ab.
    »Du glaubst, du könntest es dir aussuchen? Hier bist du genau richtig, und jetzt halt still.«
    Anschar erzitterte vor Wut, und er musste sich an einem Pfosten der Hütte festhalten, um sich zu beruhigen. Dabei fiel sein Blick ins Innere. Die Sklaven kauerten nebeneinander an der Wand, jeder trug eine Schlinge aus Felsengras um den Hals, die mit einer anderen verbunden war. Ein Mann hockte etwas abseits, seine Halsleine war mit einem der Pfosten verbunden. Fargiur winkte ihn hoch und zog ein Messer aus dem Gürtel. Entsetzt erkannte Anschar, worauf das hinauslief.
    »Wird Zeit, dass du wieder einen Gesellschafter bekommst«, sagte Fargiur. »Erschrick nicht vor seiner Tätowierung, die hat hier keine Bedeutung. Er ist ein Sklave wie jeder hier. Er gehört dir, weise ihn ein. Wenn er nicht spurt, sag

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