Das gläserne Tor
Grunde nicht anders als bei einem Zweikampf – man musste sein Gegenüber beobachten und vorausahnen, was er tat.
»Nicht schlecht«, sagte da der Aufseher, der herangetreten war. »Strengst du dich an, weil du hoffst, dir bleiben dann die Wannen erspart?«
Daraufhin schwieg Anschar, und Fargiur trollte sich, wohl um ein willigeres Opfer zu suchen.
»Du solltest ihm antworten«, meinte Parrad. »Er ist widerlich, aber leider hat er die Peitsche.«
»Diese Sorte Aufseher kenne ich, und ich denke nicht daran, mich vor denen zu beugen. Zumindest nicht freiwillig.«
»Ach, Freund, mit dieser Einstellung wirst du es hier noch schwer haben.«
»Ich bin nicht dein Freund!« Was sollte das Geschwätz überhaupt? Konnte man es hier leicht haben? Wie lange musste man an diesem Ort sein, um derart abzustumpfen? Wobei Parrad keineswegs einen gleichgültigen Eindruck machte. Er wirkte gefestigter als viele andere hier, die ins Leere starrten und sich nur noch schleppend vorwärtsbewegten, als schwinde ihr Wille, dem eigenen Körper zu gebieten. Aber war es besser, ewig mit seinem Schicksal zu hadern, statt sich einfach zu fügen? »Wie lange bist du schon hier?«
»Acht Monate. Können auch zehn sein. Warum fragst du? Interessiert dich das wirklich?«
»Nein.« Anschar tauchte seinen Rahmen in den Brei, schüttelte ihn, bis sich eine flache Schicht abgesetzt hatte, nahm von einem Stapel ein Leintuch und drückte es vorsichtig darauf. Nie hatte er beim Anblick von Papier daran gedacht, wie es hergestellt wurde. Und nie würde er zukünftig einen Papierbogen in die Hand nehmen, ohne daran zu denken. Er fragte sich, ob es in Grazias Welt unter ähnlich scheußlichen Bedingungen gefertigt wurde. Vermutlich. Warum sollte es dort anders sein? Aber würde er sie je danach fragen können?
»He«, sagte Parrad leise. »Gewöhnlich heulen die Neuen erst in der ersten Nacht, wenn sie Zeit haben, sich über all das hier klar zu werden. Du bist ziemlich schnell, eh?«
Anschar wischte sich mit der Faust über die Nase. »Wahrscheinlich begreife ich schneller als ihr. Und jetzt halt den Mund.«
Die Arbeit endete mit Einbruch der Dunkelheit. Die Sklaven trotteten zu einem großen Bottich im Freien, in dem die Wurzeln des Felsengrases gekocht wurden. Anschar verzog das Gesicht, obwohl er damit gerechnet hatte, schließlich fiel bei der Verarbeitung des verfluchten Gestrüpps eine Unmenge dieser Wurzeln ab. Dass sie nahrhaft waren, hatte er schon in seinem Wüstengefängnis festgestellt, aber der bittere Geschmack konnte einen in den Wahnsinn treiben. Es gab Brotfladen dazu, die leidlich schmeckten.
»Streu Salz darauf«, schlug Parrad vor. »Das macht es besser. Den Salzgeschmack hat man nach einer Weile aber auch satt.«
Als Anschar an der Reihe war, sein Essen in Empfang zu nehmen, kam einer der Aufseher und drückte ihm einen Napf in die Hand, der mit einer Mischung aus Graswurzelbrei, Gemüse und schwarzem Fleisch gefüllt war. Er erinnerte sich an die Sonderbehandlung, die der Werkstattleiter erwähnt hatte. Mit den Fingern fischte er ein Stück heraus und probierte es.
»Da ist wohl irgendwann ein Sturhorn gestorben. Aber besser als nichts«, bemerkte er.
»Wieso bekommst du so gutes Essen?«, wollte Parrad wissen.
»Mein Herr ist anscheinend gnädig mit mir.«
Sie gingen zu ihrer Schlafhütte zurück und ließen sich auf ihren Matten nieder, wie die anderen fünf Sklavenpaare auch, mit denen sie den überdachten Schlafplatz teilten. Anschar entging nicht, wie jeder, auch Parrad, in seinen Napf starrte, als könnten sie ihn allein mit Blicken bestehlen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Also beschloss er, Parrad ein paar Stücke zu überlassen. Sein Genosse nickte dankbar und kaute genüsslich auf dem zähen Fleisch herum.
»Du bist doch ein Freund.«
»Ich schlage dir alle Zähne aus, wenn du das noch einmal behauptest. Dann kannst du das Fleisch zukünftig lutschen.«
»Gib mir auch etwas«, bettelte der junge Sklave an seiner anderen Seite. »Bitte!« Er reckte den Hals und schaute dabei so kläglich drein, dass Anschar auch ihm etwas abgab, nur damit er diesen jämmerlichen Hundeblick nicht länger ertragen musste. Sofort wurde der Sklave zurückgerissen, und sein stämmiger Gefährte nahm sich die Stücke aus seiner Hand. Die beiden fingen an zu raufen, wobei der Jüngere hoffnungslos unterlegen war.
»Wo bin ich hier nur hineingeraten?«, fragte Anschar. »Wie kann man sich deswegen so
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