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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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versandete. Er schob es in die Scheide zurück. Von draußen hörte er Schritte, die unzweifelhaft seinem Herrn gehörten. Rasch zog er das Hemd über und band sich den Rock um die Hüften. Als er in die Sandalen schlüpfte, flog die Tür auf. Mallayur rauschte herein, mit seinem jungen Wedelträger an der Seite. Anschar nahm Aufstellung, legte aber noch den Schwertgürtel um.
    »Prächtig siehst du aus. Der Bart steht dir gut. In ein paar Monaten wird er lang genug für ein paar hübsche Silberperlen sein, passend zu der Blume.« Mallayur umrundete ihn
und blieb schließlich hinter ihm stehen. »Die Zeit in den Werkstätten scheint dir ja gar nichts ausgemacht zu haben. Das heißt, wenn ich deine Beine so betrachte – fast nichts.«
    Dem Sklaven gab Anschar mit den Augen zu verstehen, dass er verschwinden solle. Der Junge verstand, denn er hastete hinaus.
    »Warum läuft er denn weg?«, fragte Mallayur verwundert.
    »Ich vermute, Herr, er hat sich daran erinnert, dass du von mir gefordert hattest, ihn zu töten, um einen Beweis meiner Unterwerfung zu liefern.«
    »Ah ja. Hättest du diesen Beweis denn jetzt erbracht?«
    »Ja, Herr.«
    »Hm.« Mallayur tauchte wieder vor ihm auf, mit verschränkten Armen. »Das kam schnell, aber kam es auch überzeugend? Ich bin mir nicht sicher. Knie dich hin. Warte«, er zog ihm das Schwert aus der Scheide, dann bedeutete er ihm, dem Befehl Folge zu leisten.
    Erneut zog Mallayur seine Runde, und erneut blieb er hinter ihm stehen. Die Schwertspitze drückte sich in Anschars Nacken. Es war eine Prüfung, eine harmlose, auch wenn er spürte, wie ein Blutstropfen zwischen seine Schulterblätter lief. Er hielt still.
    Mallayur stellte sich vor ihm auf. Das Schwert lag locker in seiner Hand. »Der Leiter der Werkstätten hat mir ausführlich Bericht erstattet. Du hattest jede Menge Unruhe angezettelt, wie es nicht anders zu erwarten war, aber letztlich hast du es geschafft, dich zu unterwerfen. Dass du die Flucht eines Sklaven verhindert hast, war der Auslöser, dich zurückzuholen. Noch ein, zwei Monate mehr, und du wärest vielleicht vollends gebrochen gewesen, das wollte ich ja auch nicht. Wenn ich jetzt wieder zu meinem Bruder gehe und dich mitnehme – werde ich das bereuen oder nicht?«

    »Du wirst es nicht bereuen, Herr.«
    »Nicht? Du wirst nicht wieder toben, wenn du die Rothaarige siehst?«
    Anschar spürte, wie ein Zittern durch seinen Körper ging, er konnte es nicht verhindern. Hieß das, dass Grazia noch hier war? Sein Kinn wurde mit der Schwertspitze nach oben gedrückt. Er senkte die Lider.
    »Du vermeidest sogar, mich anzusehen?«
    »Ich sehe dich an, sobald du es gestattest.«
    Mallayur zog das Schwert zurück, und Anschar ließ wieder den Kopf hängen. Dieses Machtspielchen war bedeutungslos geworden, auch wenn sein Wunsch, dem König von Hersched die Hände um die Kehle zu legen, nach wie vor vorhanden war.
    »Ich gestatte es. Steh auf.«
    Dies tat Anschar langsam, denn er erinnerte sich gut daran, dass sein Herr es mochte, wenn man seinen Kniefall zögerlich beendete. Mit dem Griff voraus reichte ihm Mallayur das Schwert, und er steckte es ohne Zögern in die Scheide. Mallayur nickte zufrieden.
    »Insgesamt machst du einen guten, beherrschten Eindruck. Für dein Durchhaltevermögen möchte ich dich belohnen. Hast du irgendeinen Wunsch?«
    »Lass mich gehen. Nur für eine Nacht.«
    Ein anzügliches Lächeln glitt über Mallayurs Züge. »Ich kann mir denken, dass du es dringend nötig hast. Wohin zieht es dich denn?«
    »In mein altes Zuhause.«
    »Wohnt da nicht die Rothaarige? Ah, ich verstehe! Das scheint mir aber keine gute Idee zu sein.«
    »Ich werde bei Tagesanbruch wieder zurück sein.« Anschar fiel wieder auf die Knie. Er würde sich auf den Boden werfen, wenn es nötig war. »Ich bitte dich, Herr.«

    Mallayur trat näher und legte die Hand auf seinen gesenkten Kopf. »Ich erlaube es. Aber lass mich meine Großzügigkeit nicht bereuen.«
    Es schien alles gesagt, denn er verließ den Raum. Wie betäubt kniete Anschar am Boden. Sein Kopf brannte von der Berührung. Er schlug die Hände vors Gesicht. Was war nur aus ihm geworden? Nein, zum Weinen war jetzt keine Zeit. Grazia, er musste zu Grazia. Und das so schnell wie möglich, bevor sich all das als Traum entpuppte. Er sprang auf und hastete durch die Gänge, hinaus aus dem Palast und durch das Brückentor. Erst auf der Brücke nahm er sich die Zeit, zum Palast des Meya aufzusehen. Dort war sie, fast

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