Das gläserne Tor
erwiderte sie.
»Und wenn Henon zurückkommt?«
»Dann klopft er an. Das kennt er schon.«
»Ich weiß nicht, ob das gut ist.« Zweifelnd sah er zu der verschlossenen Tür. »Ach, egal. Es sind deine Gemächer, und ich bin hier ja nur zu Besuch. Morgen früh muss ich wieder zurück in Heria sein.«
Das überraschte sie nicht, auch wenn es wehtat. »Es hat sich nichts geändert, oder? Du bist immer noch Mallayurs Sklave.«
»Ja. Warum sollte es auch anders sein?«
»Weil … weil du hier so fröhlich hereingeplatzt bist. Ach, ich weiß auch nicht. Jetzt bist du wieder ernst.«
»Ich habe mich gefreut, wieder hier zu sein. Dich zu sehen. Selbst noch am Leben und gesund zu sein. Das ist ja eigentlich eine ernste Sache.« Auffordernd streckte er die Hand nach ihr aus. Grazia ging zu ihm, ließ es zu, dass er ihre Finger mit den seinen verknotete. Mit einem Mal starrte er sie so durchdringend an, dass ihr schwindlig wurde.
»Ich will dich haben, Feuerköpfchen. Heute Nacht. Was sagst du dazu?«
»O Gott, Anschar. Verstehe ich das richtig?«
»Erschreckt es dich?« Er fragte es ganz sachlich. Eine Zurückweisung schien er nicht in Betracht zu ziehen.
»Ja.« Sie senkte den Kopf. Am liebsten hätte sie wieder für Abstand gesorgt, aber er hielt mit der anderen Hand ihren Zopf umfasst und fing an, damit herumzuspielen.
»Nun?«, drängte er.
»Du … du weißt doch, das ist etwas, das, äh … Anschar, ich weiß ja gar nicht, wie man darüber redet.« Die Worte zu finden fiel ihr schwer, aber tief in sich spürte sie den Wunsch, seinem Begehren zu entsprechen, und das erschreckte sie noch mehr.
»Ich will ja auch nicht mit dir darüber reden «, raunte er ihr zu. »Wie viel du mir bedeutest, habe ich erst in den Werkstätten begriffen. Ich meine, wirklich und wahrhaftig begriffen. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, dass Mallayur mich zurückruft und ich dich wiedersehe. Ohne dich wäre ich vielleicht wirklich dort gestorben.«
Sie sah ihn an, sah in seine dunklen Augen, die wieder so traurig waren wie an jenem Tag auf der Brücke. »Es klingt ein wenig, als wolltest du jetzt den Lohn für dein Durchhaltevermögen haben.«
»Klingt es so? Ich hoffe nicht. Ich will dich nicht überreden müssen. Wenn du …«
Hilflos schüttelte sie den Kopf. Nicht allein ihre Furcht
ließ sie zögern. Da war Friedrich. Die Verlobung hatte noch Bestand. Oder nicht?
Oder nicht?, hämmerte es in ihrem Kopf. Sie trug nach wie vor seinen Ring, aber er selbst war weit weg, und der Gedanke, ihn zu heiraten, erschien ihr zusehends abwegiger. Sein Gesicht, das blonde Haar, der Schnauzbart, all das war in ihrer Erinnerung mehr und mehr verblasst. Anschar würde niemals ihr Ehemann werden, aber er stand vor ihr. Sie brauchte nur ihrem drängendsten Wunsch nachzugeben und die Hände nach ihm auszustrecken.
»Ich … ich möchte es«, stotterte sie und bedeckte sogleich ihr Gesicht vor Scham. »O Gott, habe ich das wirklich gesagt?«
»Hast du.« Er ließ ihren Zopf los, umfasste mit beiden Händen ihren Hals und neigte sich vor.
»Aber ich habe Angst davor!«
Er hielt inne. »Sind die Männer bei euch so übel?«
»Nein. Das heißt, ich weiß es nicht. Das ist es ja! Ich weiß überhaupt nicht, was mich erwartet. Man spricht einfach nicht darüber. Und eine unverheiratete Frau tut es auch nicht. Das ist anders als bei dir.« Sie hatte schnell gesprochen, jetzt musste sie tief Luft holen. »Henon hat mir erzählt, was du hier so getrieben hast. Frauenbesuche, solche Sachen.«
Er ließ sie los und spreizte die Hände. »Ja, und?«
»Ach, Anschar, du verstehst es nicht. Wir können niemals zusammen sein. Ich meine, richtig und auf ewig zusammen.«
»Wir sind es jetzt . Aber ich merke, wie schwer es dir fällt. Wie du schon dastehst. Als würde ich über dich herfallen wollen.«
Grazia zwang sich, eine lockere Haltung anzunehmen. »Du bist imstande, es zu zerreden, wenn du so weitermachst.«
»Zerreden …« Wieder diese Verständnislosigkeit in seinem Blick. »Ich habe den Eindruck, dass gerade du dein Mündchen nicht stillhalten kannst.«
»Das ist etwas anderes!«
»Ach ja?« Er lachte leise. »Da ich das nicht verstehe, verlegen wir uns eben aufs Schweigen. Darin dürften alle Menschen gleich sein.«
»Ich mag es, wenn du lachst«, meinte sie. »Leider tust du das viel zu selten.«
»Siehst du, jetzt redest du weiter. Ich gebe mir ja Mühe, aber du kannst den Mund nicht halten.«
Im nächsten Augenblick hing
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