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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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…«
    Der heraneilende Dominikaner schnitt ihm das Wort ab. »Lass nur, meine Tochter. Das verstehen die Argaden nicht.«
    »So ist es«, knurrte Anschar. »Daher verkneife dir das mit der Tochter und was dir sonst noch an derartigem Unsinn einfallen mag.«
    Grazia schnappte nach Luft. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte Bruder Benedikt die Hände gehoben.

    »Darüber müssen wir wirklich nicht streiten. Nun setz dich doch.« Er hockte sich seinerseits auf die Bank gegenüber Grazia und schien darauf zu warten, dass Anschar seiner Aufforderung folgte. Der tat es nicht.
    »Waren Männer des Königs hier?«
    »Ja. Mach dir keine Gedanken, sie sind fort. Sie fragten nach einer rothaarigen Frau und dem Sklaven, der einer der Zehn ist. Es war nicht nötig, lange über die Antwort nachzudenken, denn wenn ihr hierher flieht, dann doch nur, um das Tor zu finden. Also habe ich gesagt, es habe sich aufgetan und euch fortgenommen. Da sind sie wieder abgezogen.«
    »Das haben sie geglaubt?«, fragte Anschar.
    »Warum nicht? Einem ›heiligen Mann‹ glaubt man alles.« Der Mönch lächelte verschmitzt. Von dem Geschehen sichtlich unbeeindruckt, kratzte er mit einem Messer den Wachsverschluss vom Weinkrug. »Ja, es war eine Lüge, aber eine lässliche, hoffe ich doch. Deiner Kleidung nach, meine Toch… liebe Grazia, bist du eine edle Argadin, aber dein Aussehen weist auf etwas anderes hin. Ganz zu schweigen von deinem Namen. Du bist auch einstmals durch das Tor gefallen.«
    Sie nickte.
    »Und jetzt bist du hier, weil du gehört hast, es wäre irgendwo in der Nähe.« Er deutete zu den Felsen hinauf. »Dort oben ist es. Und es ist sogar offen.«
    »Offen? Es leuchtet?« Grazia wollte aufspringen, doch er legte rasch eine Hand auf ihren Arm.
    »Das tut es schon seit fast einem Jahr. Es ist nicht nötig, sofort hinaufzustürmen.«
    »Anschar, hast du das gehört?«, hauchte sie. »Wir haben es gefunden.«
    Er nickte nur. Seine Augen glühten vor innerer Abwehr, und sein nächster Atemzug kam schwer. Sie konnte ihm nicht
verdenken, dass sich seine Freude in Grenzen hielt. Auch sie fühlte sich eher beklommen.
    »Es besteht kein Grund zur Eile. Widmet euch lieber dem berühmten Tropfen von den Hängen des Hyregor«, sagte Bruder Benedikt, während er einschenkte. Mit beiden Händen umschloss Grazia den schmucklosen Zedernholzbecher und hob ihn an die Lippen. Sie versuchte sich darüber zu freuen, dass sie wahrscheinlich bald zu Hause sein würde. Hatte sie sich nicht die ganze Zeit danach gesehnt? Fast war es erreicht, und ihr Herz klopfte wild. Doch sie wusste nicht zu sagen, ob es Vorfreude oder die Furcht des Abschieds war.
    Bruder Benedikt faltete die Hände und sprach ein Tischgebet.
    »Wer ist das, der in deiner Hütte schläft?«, fiel Anschar ihm ins Wort.
    »Anschar, bitte!«
    Diesmal sah er Grazia so scharf an, dass sie verstummte. Er zum Glück auch; er zog es vor, weiterhin die Lichtung und den Hütteneingang im Auge zu behalten. Da kam ein Poltern aus der Hütte, gefolgt von schmerzhaftem Aufstöhnen. Sofort nahm Anschar den Fuß von der Bank.
    »Er scheint wach zu sein«, verkündete Bruder Benedikt und stemmte sich hoch. »Ich werde nach ihm sehen. Entschuldigt mich.« Er eilte auf seine Behausung zu und blieb auf halbem Wege stehen, denn ein Mann tauchte im Eingang auf, rieb sich den Kopf und stützte sich mit der anderen Hand am Türrahmen ab. Dann taumelte er heraus, und erst, als Grazia aufschrie, schien er sich der Anwesenheit anderer Menschen bewusst zu werden.
    Sie war aufgesprungen und wusste nicht, ob sie auf ihn zulaufen oder zurückweichen sollte. Als sie sich endlich entschieden hatte, zu ihm zu gehen, versperrte Anschar ihr mit der blanken Klinge den Weg.

    »Du bleibst, wo du bist«, sagte er ruhig. »Bis ich weiß, warum er dir Angst einflößt.«
    »Aber das tut er doch gar nicht.«
    Er streckte das Schwert vor. »Er sieht aus wie der Kopf auf deinen Münzen«, spottete er. »Aber vermutlich tragen alle Männer bei euch solche hässlichen Bärte, daher dürfte es sich nicht um deinen König Wilhelm handeln.«
    »Anschar, ich möchte jetzt gern im Boden versinken«, sagte sie. »Und zwar deinetwegen. So nimm doch das Schwert herunter! Es ist Friedrich.«
    Die Schwertspitze drückte gegen Friedrichs Bauch, der sich genähert hatte und jetzt ungläubig auf die Klinge starrte. Anschar ließ sich Zeit. Schließlich stieß er die Waffe mit einer schwungvollen Bewegung zurück in die Scheide und trat

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