Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
Schultern, damit Anschar ihn losließ. Es gelang ihm, aus eigener Kraft zu stehen. Betont ärgerlich rückte er den Hemdkragen zurecht. Grazia war danach, sich einfach umzudrehen und die beiden allein zu lassen. Sie war schon drauf und dran, es zu tun, als Friedrichs Knie nachgaben und er auf den Hosenboden fiel.
    Er strich sich über den Hinterkopf und kniff die Augen zusammen. »Da ist eine mächtige Beule. Aber klar denken kann ich im Moment. Glaube ich jedenfalls. Können wir reden, ohne dass dieser Kerl dabei ist? Er sieht mich an, als überlege er, ob er mich zum Abendessen verspeisen soll.«
    Grazia musste sich ein Grinsen verkneifen. »Sei vorsichtig, er versteht ein paar Worte Deutsch.«
    »Woher hat er das?«
    »Er hat mit mir Argadisch gepaukt, da blieb das nicht aus.«
    »Du … du verstehst diese Sprache? Wie ist das möglich? Vor ein paar Tagen waren wir doch noch auf der Insel?«
    »Nein, Friedrich, ich bin schon sehr viel länger hier. Warte bitte kurz.«
    Sie hakte sich bei Anschar unter, zog ihn ein Stück weg und bat ihn, sie mit Friedrich allein zu lassen. Wie erwartet, missfiel ihm dieses Ansinnen. Das Aufflackern in seinen Augen hatte etwas Besitzergreifendes, aber er nickte widerstrebend.
    »Du hast ohnehin nichts Wichtiges mit ihm zu bereden«, behauptete er. »Du wirst ihn über die Lage aufklären, und das war es.«
    Es klang wie ein Befehl, aber sie begriff, dass es nur eine nüchtern geäußerte Vermutung war. »Du glaubst wirklich, Friedrich und ich hätten einander sonst nichts zu sagen? Wie kommst du darauf? Du kennst ihn doch gar nicht.«

    »Er ist deiner nicht wert«, erwiderte er und verschwand in Richtung der Hütte. Hinter sich hörte sie Friedrich deutlich hörbar aufatmen. Sie kehrte zu ihm zurück und setzte sich an seine Seite. Der Wunsch, den Kopf auf seine Schulter zu legen, wie sie es bei Anschar gern tat, wollte sich nicht einstellen.
    »Ich komme mir hier vor wie auf einer Freilichtbühne«, beklagte er sich. »Ein Mönch. Du in einem merkwürdigen Kostüm. Und dann dieser arrogante Schwertträger, den ich liebend gern aus dem Anzug stoßen würde, wäre ich in einer besseren Verfassung.«
    Grazia fragte sich, ob es immer so war, wenn zwei Männer aufeinandertrafen, die auf dieselbe Frau ein Auge geworfen hatten. Eine Herde Sturhörner zu hüten, erschien ihr einfacher. »Ich bin froh, dass es dir nicht so gut geht. So muss ich keine Angst um dich haben.«
    »Wieso? Ist er gefährlich?«
    »Hast du das nicht gemerkt? Du solltest ihn nicht reizen, sonst kriegst nämlich du die Dresche.«
    »Scheint dir ja wenig auszumachen! Was ist das überhaupt für ein Ton? So kenne ich dich ja gar nicht.«
    »Bitte entschuldige.«
    »Wo hast du ihn gefunden?«
    »In der Wüste.«
    »Was für eine Wüste?«
    »Die, in die mich das Tor führte. Man geht an derselben Stelle hinein, aber man kommt unten immer an einer anderen Stelle heraus.« Tief holte sie Luft und nahm die Mühsal auf sich, Friedrich auf den Stand der Dinge zu bringen.

    Grazia begnügte sich damit, an einem Fladenbrot zu knabbern, ebenso Friedrich, der mit verkniffenem Gesicht zusah, wie die beiden anderen Männer gierig in die mit Honig
überkrusteten Vogelleiber bissen. Ihr lag mittlerweile der bevorstehende Abschied wie ein Stein im Magen.
    »Die Stute leistet mir Gesellschaft und bringt mich überall hin, auch in das argadische Babylon, wenn es nötig ist«, erzählte Bruder Benedikt und wischte sich die Finger an seinem fadenscheinigen Skapulier ab. »Eigentlich sollte ich mich ja wie mein himmlischer Herr mit einem bescheideneren Reittier begnügen.«
    Anschar sagte dazu nichts. Wie üblich verstand er die Anspielungen, die andere Welt betreffend, nicht. Grazia erklärte Friedrich, was Bruder Benedikt gesagt hatte. Meistens gebrauchte der Dominikaner das Argadische, ab und zu das Deutsche, und sie hatte alle Mühe, den beiden schweigsamen Zuhörern zu übersetzen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie den Eindruck, dass die beiden eher damit beschäftigt waren, einander abschätzig zu mustern.
    »Ich versuche unter den Heiden das Wort Gottes zu säen, aber es ist ein denkbar steiniger Boden«, plauderte Bruder Benedikt weiter. »Eigentlich habe ich in all den Jahren nur erreicht, dass man mich für einen wohltätigen und irgendwie auch klugen Priester hält, der davon erzählt, dass der letzte Gott eines Tages zurückkehren wird. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass ich gar nicht von dem rede!« Er rollte die

Weitere Kostenlose Bücher