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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Deutsch herbei. »Hiermit können Sie sie durch das Wasser bringen.«
    Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Rasch brachte sie ihm die Papierrolle. Er schlug sie in das Ledertuch ein und begann die Ränder zuzunähen.
    »Richtig wasserdicht ist das nicht«, meinte er. »Aber es ist ja nur für einen kurzen Augenblick. Der Schaden sollte sich in Grenzen halten.«
    Grazia wollte sich bedanken, brachte aber nur ein Krächzen heraus. Die Zeit war gekommen. Sie hastete in die Hütte, zog die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor.
    Es klopfte. »Grazia? Machst du dich fertig?«
    »Ja, Friedrich«, presste sie heraus. »Ich beeile mich.«
    »Gut.« Sie hörte, wie er sich wieder entfernte. Sie nahm aus der Tasche ihr Kleid und breitete es auf der Pritsche aus. Ein wenig musste sie sich überwinden, den argadischen Mantel und das Gewand auszuziehen, denn blickdicht waren die Bretterwände nicht. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie sich ungern von den seidigen Stoffen trennte. Mitnehmen würde sie die fremdartigen Kleidungsstücke natürlich, aber wann sollte sie sie jemals wieder tragen?
    Ihr altes Kleid kam ihr ungewohnt vor. Der hochgeschlossene Kragen störte plötzlich. Alles war so eng, bis auf das Korsett, das zu tragen sie sich nie abgewöhnt hatte. Ein Schauer rann ihr den Rücken hinab, als sie daran dachte, wie
Anschar es geschnürt hatte. Du Heulsuse, schalt sie sich. Es ist vorbei.
    Sie zupfte an dem Kleid herum, bis es halbwegs ordentlich saß, und stopfte die anderen Sachen in die Tasche.
    Eine Faust schlug gegen die Tür. »Grazia!«
    Sofort war sie an der Tür und riss sie auf. Anschar schob sie ins Innere zurück. Dann drehte er sich um, fauchte dem in der Nähe wartenden Friedrich zu, dass er sich nur verabschieden wolle – was dieser natürlich nicht verstand, aber daran dachte er offenbar nicht -, und warf die Tür zu. Grazia sackte auf die Pritsche zurück. In den Lichtstreifen, die durch die Ritzen fielen, konnte sie jede vertraute Einzelheit seines Gesichts erkennen. Die sanft gewölbten Brauen, dazwischen eine steile Falte. Seine dunklen Augen. Die ebenmäßigen Züge. Er war schön. Nicht so wie der Gott auf dem Steg – anders, wirklicher.
    »Würdest du mir bitte in die Schuhe helfen?«, flüsterte sie und hielt ihm die Stiefeletten hin.
    Anschar nahm sie, kniete sich hin und griff unter ihr Kleid. Fest legten sich seine Finger um ihre Wade, um das Bein anzuheben. Sie machte den Fuß spitz.
    »Ich habe darüber nachgedacht, was wäre, wenn ich mit dir gehe«, sagte er.
    Mit erschreckender Härte schloss sich der Schuh um ihren Fuß. Denselben Gedanken hatte sie in der Nacht gewälzt, und nun sprach Anschar ihn aus.
    »Anschar, das geht nicht. Ich würde es mir so sehr wünschen, aber du kannst in meiner Welt nicht leben. Du würdest sie nicht verstehen.«
    Er schnürte den Schuh, fast so geschickt, als hätte er das bereits viele Male getan. »Du verstehst diese Welt, jedenfalls gut genug, um dich zurechtzufinden. Und da sollte mir das umgekehrt nicht gelingen?«

    »Es ist so, glaub mir. Du hättest dort Schwierigkeiten, von denen du keine Vorstellung hast.«
    »Das hatte ich auch nicht, als ich zu Mallayur ging.«
    »Würdest du denn in einer Welt leben wollen, in der es dir so ergeht wie bei Mallayur?«
    »Deinetwegen könnte ich viel auf mich nehmen. Obwohl ich nicht glauben kann, dass es in deiner Nähe so schlimm wäre. Alles, was du erzählt hast, klingt nicht danach. Außer dass die Preußen ein bisschen steif sind. Ich meine, sie müssen ja steif sein. Wenn man solche Schuhe trägt.«
    »O Anschar.« Sie presste die Augen zusammen. Wenn er doch nur aufhören würde, ihren Abschied zu zerreden. »Was man erzählt und wie es dann ist, das kann man nicht vergleichen. Außerdem würden dich meine Eltern niemals akzeptieren. Sie würden dich zum Essen einladen und danach höflich zur Tür hinausbitten. Und dann wüsstest du nicht, wohin, und ich könnte dir auch nicht helfen.«
    »Das klingt in der Tat nicht sehr gastfreundlich.« Er schob den zweiten Fuß in den Schuh. »Aber bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass du von hartherzigen Eltern erzählst.«
    »Sie sind nicht hartherzig. Nur ist das in meinem Land mit der Gastfreundschaft anders als hier. Sie würden dich jedenfalls niemals in ihrem Haus leben lassen. Und wo solltest du sonst hingehen? Du müsstest selbst für dich sorgen. Aber wie? Männer, die mit Schwertern umgehen können, braucht man dort nicht. Die Sprache

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