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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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sie das Bad betreten wollte, sah sie sich einem altbekannten Problem gegenüber. »Bruder Benedikt? Würde es Ihnen, ähm, etwas ausmachen, draußen zu warten? Das Bad hat ja keine Tür.«
    Mit leidender Miene verabschiedete er sich von dem Essen und begab sich zurück auf den Korridor. Grazia machte sich daran, die Kleider zu wechseln. Wohin mit den nassen Sachen? Es blieb nur die Terrasse, wo sie hoffentlich trockneten, bevor sich jemand hinausverirrte und ihre Unterwäsche
sah. Solcherlei Umstände hatte sie in Berlin wahrhaftig nicht vermisst! Sie wusch sich das erdige Havelwasser vom Leib, schlüpfte in das argadische Kleid aus ihrem Koffer und zupfte daran herum, bis es anständig saß. Stimmen waren von draußen zu hören. Der Meya. Sie schluckte einen Kloß herunter und eilte zur Tür. Jetzt wurde es ernst.
    Sie versuchte sich an einem herzlichen Lächeln. Es gefror, als er vor ihr stand, erbost auf sie herabstarrte und einen Schritt auf sie zumachte, sodass sie zurückstolperte.
    Er drehte sich um die Achse, auf der Suche nach Bruder Benedikt, der sich hastig verneigte. Sein Mantel umwehte ihn – der Mantel mit den Pfauenfedern. Vielleicht hätten wir es wie Henon machen und einen Pfau mitbringen sollen, um ihn zu besänftigen, dachte Grazia.
    »Hat er dich die ganze Zeit versteckt?« Er deutete auf Bruder Benedikt.
    »Nein, Herr. Ich bin durchs Tor gegangen. Ich war zu Hause.«
    »Dort hättest du bleiben sollen.« Er baute sich mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor ihr auf. Ein Duft nach edlem Körperöl und Schweiß umwehte ihn. Sein markantes Gesicht war beeindruckend wie immer, doch es sah aus, als seien mehr als vier Monate an ihm vorübergezogen. Der Goldreif, Zeichen seiner Königswürde, saß auf einer faltigen Stirn. »Was soll ich jetzt mit dir machen? Dich wieder einsperren?«
    »Nein, nur mich anhören. Bitte.«
    Seine Schultern sackten herab. Er ging zum Tisch, hockte sich auf einen Stuhl und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. Es war, als sei innerlich etwas in ihm zerbrochen. Er schien nicht wahrzunehmen, dass Fidya hinter ihn trat und ihm besänftigend über die Schulter strich.
    »Ich habe heute schon so viel gehört, was ich nicht hören wollte. Die Getreidefelder am Großen See sind in Flammen
aufgegangen, bevor die Ernte eingefahren werden konnte. Auch viele Grasfelder hat es erwischt. Bald wird es Brot nur noch für die Wohlhabenden geben. Sogar die Papierpreise werden steigen; das hat es noch nie gegeben. Ich sprach eben mit den Gesandten aus Scherach und Praned. Die Trockenheit ist auch dort weit fortgeschritten. Bald werden wir uns mit Graswurzelbrei die Ohren verkleben, damit wir keine schlechten Nachrichten mehr hören müssen. Und welche hast du?«
    »Gute, hoffe ich.« Grazia legte den Koffer auf den Tisch und hob den Deckel. Sie kramte nach ihrem Necessaire und bemerkte zufrieden, dass sie es schaffte, Madyurs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mit offenem Mund hockte er da und sah zu, wie sie das Toilettentäschchen öffnete und den Stoffbeutel mit dem Schmuck herausnahm. Vorsichtig schnürte sie ihn auf und ließ das Gold herausgleiten. »Kennst du diesen Schmuck?«
    Er machte ein verkniffenes Gesicht. Ein Hauch von Neugier war darin zu erkennen. »Er ist wunderschön«, raunte Fidya und reckte neugierig den Hals. »Ist das deiner?«
    »Ja. Anschar hat ihn mir geschenkt. Davor gehörte er seiner Mutter.«
    »Seiner – Mutter ?« Madyur wedelte mit der Hand, damit Grazia die Öllampe näher schob. Dann hielt er das Diadem hoch, drehte es im Licht und legte es kopfschüttelnd wieder hin. »Seiner Mutter! Und das glaubst du? Ich hätte ihm so eine Lüge nicht zugetraut, nur um eine Frau herumzukriegen.«
    »Du glaubst, dass er das nötig hätte?«, konterte sie, worauf er ein Kopfschütteln andeutete.
    Dann winkte er ab. »Du musst doch wissen, dass seine Mutter eine Sklavin war. Irgendeine Frau aus der Wüste. Die besitzen keinen Goldschmuck, schon gar nicht so großartig
verarbeiteten. Und sein Vater? Ein Sklavenaufseher. Man weiß nicht einmal, welcher es war. Der wird ihn ihr kaum geschenkt haben.«
    »Und woher soll Anschar ihn dann haben?«
    »Was weiß ich?« Er befingerte die Perlen und Halbedelsteine. »Schön ist er, wahrhaftig. Selbst Hinarsyas Haupt würde sich davon geschmeichelt fühlen. Warum zeigst du ihn mir? Und hätte das nicht bis morgen Zeit gehabt? Es ist spät, ich habe einen langen Tag hinter mir.«
    »Nein, bitte.« Sie wagte es, eine Hand

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