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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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die Sonne stach erbarmungslos in ihre Pupillen. Tränen traten ihr in die Augen. Allmählich begriff sie, dass jemand sie trug. Dass er sie trug, wie ein Kind auf dem Rücken. Ihr linker Arm lag über seiner Schulter, ihr rechter hing unter seiner Achsel.
    Er lebte. Er schleppte sie durch die sonnendurchflutete Wüste.
    Ihre Beine lagen um seine Hüften. Er hielt sie an den Kniekehlen. Ihren nackten Kniekehlen.
    »Lass mich los!« Sie wollte sich von ihm abstoßen, doch ihre Hände waren vor seiner Brust zusammengebunden. Zappelnd versuchte sie loszukommen; plötzlich lag sie auf dem Rücken im Sand und er über ihr.
    »Schön, dass du wach bist.« Er streifte ihre Arme über den Kopf. »Du hast mir wirklich Sorgen gemacht.«

    So nah war sie ihm noch nie gewesen, und sie fand es beängstigend. Schamröte schoss ihr ins Gesicht, und der Sand ließ ihren Rücken glühen. Ihre Beine waren immer noch bis fast zu den Oberschenkeln entblößt. Zum Glück schien Anschar in seiner Verwirrung dafür keinen Blick zu haben. »Bitte geh weg«, bat sie beherrscht, damit er es nicht doch noch merkte. Er zögerte, schien etwas Beschwichtigendes sagen zu wollen, sah sie aber nur an. Schließlich rollte er sich auf den Hintern, schnaufte und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund. Hastig stand sie auf und schlug ihr Gewand herunter.
    Jetzt erst merkte sie, dass er erschöpft war. Wie lange mochte er sie schon durch die Gegend tragen? Und wohin? Weshalb er sie gefesselt hatte, wurde ihr immerhin klar. Es kostete viel Kraft, bei Tag durch diese Gegend zu laufen – auch noch mit ihr auf dem Rücken. Aber dann fiel ihr ein, wie es dazu gekommen war. Sie stapfte um ihn herum und versuchte ihn wütend anzufunkeln. »Warum hast du mich …«, in Ermangelung eines passenden Wortes klopfte sie sich auf den Kopf. »Binde mich los!«
    Sie schnappte nach Luft, als er aufstand und sein Schwert zog. Er durchschnitt die Bänder an ihren Handgelenken mit aufreizender Beiläufigkeit. Jetzt sah sie, dass er sich ihr Bündel an einen Grasgürtel geknüpft hatte. »Meine Sachen?«, fragte sie, von Furcht durchdrungen, er könnte die Erinnerungen an ihr altes Leben zurückgelassen haben. Wortlos drückte er ihr das Bündel in die Hände.
    »Du findest mich seltsam«, murmelte sie, während sie prüfte, ob alles da war.
    »Allerdings.«
    Sie tupfte sich mit dem Rand der Kapuze den Schweiß vom Gesicht und betastete den Hinterkopf. Tatsächlich waren da eine Beule und eine schorfige Stelle.

    »Wir müssen weiter.« Er steckte das Schwert weg, nahm ihr das Bündel ab und schulterte es. »Dort vorne ist eine weitere Felsenkette, siehst du sie? Es sind nur noch etwa zwei Stunden zu laufen, dann können wir im Schatten rasten, bis zum Einbruch der Nacht. Bis dorthin werden uns die Wüstenbewohner wohl nicht verfolgen, sollten sie dazu Lust verspüren.«
    Er marschierte los. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und sah sich besorgt nach ihr um. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hinter ihm herzulaufen. Wie kam er dazu, kein Wort darüber zu verlieren, dass sie ihm das Leben gerettet hatte? Eine Entschuldigung für den Angriff erwartete sie schon gar nicht.
    »Und dann? Gehen wir weiter in der Nacht? Was ist morgen?«
    »Ich weiß nicht, was morgen ist. Diesem Sippenältesten habe ich nicht die volle Wahrheit gesagt.«
    »Nein? Bist du etwa doch ein Sklavenhändler?«
    Er warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu, der für seine Verhältnisse milde war. »Das bin ich nicht. Was ist?«
    Sie war stehen geblieben, denn mit einem Mal schmerzte das Sonnenlicht. Tief zog sie sich die Kapuze in die Stirn, aber es half wenig. Der Schweiß rann ihr aus allen Poren. Sie war für diese heiße Welt einfach nicht geschaffen. »Ich … ich kann nicht laufen. Ich bin so erschöpft.«
    Wäre der Sand nicht so heiß, hätte sie sich wieder hinsinken lassen. So wartete sie, ohne sich entscheiden zu können, ob sie weiterlaufen oder auf ewig hier stehen bleiben sollte.
    »Werde nicht schwach, Feuerköpfchen.« Er knüpfte den Wasserbeutel vom Gürtel und wickelte die Schnur ab. »Sterben können wir besser bei den Felsen dort.«
    »Das ist mir schnuppe«, erwiderte sie auf Deutsch. Auch das Reden in der fremden Sprache war mit einem Mal viel zu
anstrengend. Sie machte keine Anstalten, den dargebotenen Beutel anzunehmen.
    »Komm schon! Gibst du etwa auf, nachdem du mich gerettet hast? Es gibt noch Hoffnung, auch wenn sie klein ist. Trink!«
    Wovon sprach er? Doch nicht

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