Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
zieht.
Solange sich Knecht absichtslos dem Zustrom der inneren Bilder überließ, wie sie sich, den Träumen wesensverwandt, im Zustand der ersten Entspannung einfinden, waren es vor allem zwei Vorstellungen, die aus dem Geströme traten und länger verweilten, zwei Bilder oder Sinnbilder, zwei Gleichnisse. In
dem einen folgte Knecht, ein Knabe, auf mancherlei Gängen dem vorangehenden Meister nach, welcher als Führer vor ihm schritt und mit jedem Male, wo er sich umwandte und sein Gesicht zeigte, älter, stiller und ehrwürdiger wurde, zusehends einem Idealbild zeitloser Weisheit und Würde sich annähernd, während er, Josef Knecht, hingegeben und gehorsam hinter dem Vorbilde her schritt, aber immer derselbe Knabe blieb, worüber er abwechselnd bald Beschämung, bald aber auch eine gewisse Freude, ja beinahe etwas wie trotzige Genugtuung empfand. Und das zweite Bild war dieses: die Szene im Klavierzimmer, das Hereintreten des Alten zu dem Knaben, wiederholte sich immerzu, unendliche Male, der Meister und der Knabe folgten einander, wie am Draht eines Mechanismus gezogen, so daß es bald nicht mehr zu erkennen war, wer komme und wer gehe, wer führe und wer folge, der Alte oder der Junge. Bald schien es der Junge zu sein, welcher dem Alter, der Autorität und Würde Ehre und Gehorsam erwies; bald war es anscheinend der Alte, welchen die ihm leicht voraneilende Figur der Jugend, des Anfangs, der Heiterkeit zur dienenden oder adorierenden Nachfolge verpflichtete. Und während er diesem unsinnig-sinnvollen Traum-Rundlauf zusah, war in seinem eigenen Gefühl der Träumende bald mit dem Alten, bald mit dem Knaben identisch, war bald Verehrer, bald Verehrter, bald Führer, bald Gehorchender, und im Ver
lauf dieses schwebenden Wechsels kam ein Augenblick, da war er beide, war zugleich Meister und Schüler, ja er stand vielmehr über beiden, war der Veranstalter, Ersinner, Lenker und Zuschauer des Kreislaufs, des ergebnislos in der Runde spielenden Wettlaufes von alt und jung, den er mit wechselnden Empfindungen bald verlangsamte, bald zur höchsten Eile antrieb. Und aus diesem Stadium entwickelte sich eine neue Vorstellung, mehr schon Symbol als Traum, mehr schon Erkenntnis als Bild, nämlich die Vorstellung oder vielmehr Erkenntnis: dieser sinnvoll-sinnlose Rundlauf von Meister und Schüler, dieses Werben der Weisheit um die Jugend, der Jugend um die Weisheit, dieses endlose, beschwingte Spiel war das Symbol Kastaliens, ja war das Spiel des Lebens überhaupt, das in alt und jung, in Tag und Nacht, in Yang und Yin gespalten, ohne Ende strömt. Von hier aus dann fand der Meditierende den Weg aus der Bilderwelt in die Ruhe und kehrte nach lange dauernder Versenkung gestärkt und heiter zurück.
Als einige Tage später die Ordensleitung ihn zu sich befahl, ging er getrost und nahm die brüderliche Begrüßung der Obersten durch Handschlag und angedeutete Umarmung gefaßt mit heiterem Ernst entgegen. Es wurde ihm seine Ernennung zum Glasperlenspielmeister mitgeteilt und er zur Investitur und Vereidigung auf den übernächsten Tag in die Festspielhalle befohlen, dieselbe Halle, in welcher vor kur
zem noch der Stellvertreter des entschlafenen Meisters jene beklemmende Feier absolviert hatte wie ein goldgeschmücktes Opfertier. Der freigelassene Tag vor der Investitur war einem genauen und von rituellen Meditationen begleiteten Studium der Eidesformel und der »kleinen Magisterordnung« unter Anleitung und Aufsicht zweier Obern bestimmt, diesmal waren es der Ordenskanzler und der Magister Mathematicae, und in der mittäglichen Ruhepause dieses sehr anstrengenden Tages erinnerte Josef sich lebhaft seiner Aufnahme in den Orden und der vorangehenden Einführung durch den Musikmeister. Diesmal freilich führte der Aufnahmeritus ihn nicht, wie jährlich Hunderte, durch ein weites Tor in eine große Gemeinde ein, es ging durchs Nadelöhr in den höchsten und engsten Kreis, den der Meister. Dem Alt-Musikmeister gestand er später, es habe ihm an jenem Tage intensiver Selbstprüfung ein Gedanke Mühe gemacht, ein ganz lächerlicher kleiner Einfall; er habe sich nämlich vor dem Augenblick gefürchtet, wo ihm von einem der Meister bedeutet werden würde, wie ungewöhnlich jung er der höchsten Würde teilhaftig werde. Er habe ernstlich mit dieser Furcht, diesem kindisch eitlen Gedanken zu kämpfen gehabt, und mit der Lust, falls eine Anspielung auf sein Alter fallen sollte, zu erwidern: »So laßt mich doch ruhig älter werden, ich
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