Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
und Amtsführung jedes beliebigen Glasperlenspielmeisters, auch etwa jenen Magister Ludwig Wassermaler der spielfreudigsten Epoche Waldzells nicht ausgenommen, kann dem Blick des Historikers, der sich nur an die dokumentierten Tatsachen hält, nicht einwandfreier und lobenswerter erscheinen als Leben und Amtsführung des Magisters Knecht. Dennoch hat diese Amtsführung ein ganz ungewöhnliches und Aufsehen erregendes, ja für das Empfinden mancher Beurteiler skandalisierendes Ende genommen, und dieses Ende war nicht etwa ein Zufall oder Unglücksfall, sondern ergab sich völlig folgerichtig, und es gehört mit zu unserer Aufgabe, zu zeigen, daß es mit den glänzenden und rühmenswerten Leistungen und Erfolgen des Ehrwürdigen keineswegs im Widerspruch steht. Knecht ist ein großer und vorbildlicher Verwalter und Repräsentant seines hohen Amtes gewesen, ein Glasperlenspielmeister ohne Tadel. Aber er sah und fühlte den Glanz Kastaliens, dem er diente, als eine gefährdete und schwindende Größe, er lebte in ihm nicht ahnungslos und bedenkenlos mit wie die große Mehrzahl seiner Mitkastalier, sondern wußte um seine Herkunft und seine Geschichte, empfand ihn als ein geschichtliches Wesen, der Zeit unterworfen und von ihrer mitleidlosen Gewalt umspült und erschüttert. Dieses Erwachtsein
zum lebendigen Gefühl geschichtlichen Ablaufes und dies Empfinden der eigenen Person und Tätigkeit als einer im Strom des Werdens und Sichwandelns mittreibenden und mittätigen Zelle waren in ihm reif geworden und zum Bewußtsein gelangt durch seine historischen Studien und unter dem Einfluß des großen Paters Jakobus, aber die Anlagen und Keime dazu waren längst vorher dagewesen, und wem wirklich die Persönlichkeit Josef Knechts lebendig geworden, wer wirklich der Eigenart und dem Sinn dieses Lebens auf der Spur ist, wird diese Anlagen und Keime leicht auffinden.
Der Mann, der an einem der strahlendsten Tage seines Lebens, am Ende seines ersten Festspieles, nach einer ungewöhnlich geglückten und eindrucksvollen Kundgebung des kastalischen Geistes gesagt hat: »Man denkt nicht gerne daran, daß Kastalien und das Glasperlenspiel einmal wieder vergehen sollen – und doch muß man daran denken«, dieser Mann hat von früh an, auch als er längst noch kein Eingeweihter der Historie war, ein Weltgefühl in sich getragen, dem die Vergänglichkeit alles Gewordenen und die Problematik alles vom Menschengeist Geschaffenen vertraut war. Gehen wir in seine Knaben- und Schülerjahre zurück, so stoßen wir auf die Nachricht, daß er jedesmal, wenn in Eschholz ein Mitschüler verschwand, weil er die Lehrer enttäuscht hatte und wieder aus der Elite in die gewöhnlichen Schulen zu
rückgeschickt worden war, eine tiefe Beklommenheit und Beunruhigung empfand. Von keinem dieser Ausgeschiedenen ist überliefert, daß er persönlich dem jungen Knecht befreundet gewesen sei; es war nicht der Verlust, es war nicht das Ausscheiden und Verschwinden der Personen, was ihn erregte und mit angstvollem Weh bedrückte. Es war vielmehr die leise Erschütterung seines kindlichen Glaubens an den Bestand der kastalischen Ordnung und der kastalischen Vollkommenheit, welche ihm dieses Weh bereitete. Daß es Knaben und Jünglinge gab, denen das Glück und die Gnade der Aufnahme in die Eliteschulen der Provinz begegnet war und welche diese Gnade wieder verscherzten und wegwarfen, darin lag für ihn, der seine Berufung so heilig ernst nahm, etwas Erschütterndes, ein Zeugnis von der Macht der nichtkastalischen Welt. Vielleicht auch – beweisen läßt es sich nicht – riefen solche Vorkommnisse in dem Knaben erste Zweifel an der bis dahin angenommenen Unfehlbarkeit der Erziehungsbehörde wach, da diese Behörde je und je auch Schüler nach Kastalien brachte, deren sie sich nach einer Weile wieder entledigen mußte. Ob nun nebenher auch dieser Gedanke, die frühste Regung einer Kritik an der Autorität also, mitgespielt habe oder nicht, jedesmal wurde von dem Knaben die Entgleisung und Rücksendung eines Eliteschülers als ein Unglück nicht nur, sondern als eine Ungehörigkeit empfunden, als ein häßlicher Fleck,
der einen anstarrte und dessen Vorhandensein an sich schon ein Vorwurf war und ganz Kastalien mitverantwortlich machte. Hierin, glauben wir, ist das Gefühl von Erschütterung und Verstörung begründet, dessen der Schüler Knecht bei solchen Anlässen fähig war. Es gab draußen hinter den Grenzen der Provinz eine Welt und ein Menschenleben,
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