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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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konnte, hatte er dies Weltleben nie gesehen und mitgelebt außer in früher Kindheit, aber er hatte durch Designori, durch Jakobus und das Geschichtsstudium eine wache Ahnung von der Wirklichkeit gewonnen, eine zum großen Teil intuitiv entstandene und von sehr geringer Erfahrung begleitete Ahnung, welche ihn aber wissender und weltoffener gemacht hat als die Mehrzahl seiner kastalischen Mitbürger, die Behörden kaum ausgenommen. Immer ist er ein echter und treuer Kastalier gewesen und geblieben, aber nie hat er vergessen, daß Kastalien nur ein Teil, ein kleiner Teil der Welt ist, sei es auch der wertvollste und geliebteste.
    Und wie stand es nun um seine Freundschaft mit Fritz Tegularius, dem schwierigen und problematischen Charakter, dem sublimen Artisten des Glasper
lenspiels, dem verwöhnten und ängstlichen Nurkastalier, welchem es damals bei seinem kurzen Besuche in Mariafels zwischen den derben Benediktinern so unheimlich und elend geworden war, daß er es dort keine Woche aushalten zu können beteuerte und seinen Freund, der es zwei Jahre dort recht wohl aushielt, darum unendlich bewunderte? Wir haben uns über diese Freundschaft vielerlei Gedanken gemacht, manche mußten wieder verworfen werden, einige schienen standzuhalten; diese Gedanken galten alle der Frage, was denn nun die Wurzel und was der Sinn dieser vieljährigen Freundschaft gewesen sei. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß bei allen Freundschaften Knechts, höchstens die mit dem Benediktiner ausgenommen, er nicht der suchende, werbende und bedürftige Teil gewesen ist. Er zog an, er wurde bewundert, beneidet und geliebt, einfach um seines adligen Wesens willen, und von einer gewissen Stufe seines »Erwachens« an war er sich dieser Gabe auch bewußt. So war er auch, schon in den ersten Studentenjahren, von Tegularius bewundert und umworben worden, hatte ihn aber stets in einer gewissen Distanz gehalten. Immerhin zeigen uns manche Merkmale, daß er dem Freunde wirklich zugetan war. Wir sind nun der Meinung, daß es nicht bloß dessen außergewöhnliche Begabung, seine rastlose und namentlich allen Problemen des Glasperlenspiels offenstehende Genialität war, wel
che für Knecht etwas Anziehendes hatte. Sondern dessen starkes und dauerndes Interesse galt nicht nur der großen Begabung des Freundes, es galt ebensosehr dessen Fehlern, seiner Kränklichkeit, es galt gerade dem, was den andern Waldzellern an Tegularius störend und oft unleidlich war. Dieser wunderliche Mensch war so sehr Kastalier, seine ganze Art zu existieren wäre außerhalb der Provinz undenkbar gewesen und hatte deren Atmosphäre und Bildungshöhe so sehr zur Voraussetzung, daß man, wäre nur eben seine Schwierigkeit und Wunderlichkeit nicht gewesen, ihn geradezu als einen Erzkastalier hätte bezeichnen können. Und dennoch paßte dieser Erzkastalier schlecht zu seinen Kameraden, war so wenig bei ihnen wie bei den Vorgesetzten und Beamten beliebt, störte beständig, gab immerzu Anstoß und wäre ohne den Schutz und die Führung durch seinen tapfern und klugen Freund wahrscheinlich früh zugrunde gegangen. Was man seine Krankheit nannte, war schließlich vorwiegend ein Laster, eine Unbotmäßigkeit, ein Charakterfehler, nämlich eine im tiefsten unhierarchische, völlig individualistische Gesinnung und Lebensführung; er fügte sich gerade nur soweit in die bestehende Ordnung ein, als notwendig war, um im Orden überhaupt geduldet zu werden. Er war insofern ein guter, ja glänzender Kastalier, als er ein vielseitiger, in der Gelehrsamkeit ebenso wie in der Glasperlenspielkunst unermüdlich und unersätt
lich fleißiger Geist war; aber ein sehr mittelmäßiger, ja schlechter Kastalier war er im Charakter, in der Einstellung zur Hierarchie und zur Ordensmoral. Das größte seiner Laster war ein dauerndes Leichtnehmen und Vernachlässigen der Meditation, deren Sinn ja die Einordnung des Individuums ist und deren gewissenhafte Pflege ihn sehr wohl von seiner Nervenkrankheit hätte heilen können, denn im kleinen und einzelnen tat sie es jedesmal, wenn er nach einer Periode schlechter Führung und aufgeregten oder melancholischen Wesens von den Oberen strafweise zu strengen Meditationsübungen unter Aufsicht gezwungen wurde, ein Mittel, zu welchem auch der wohlwollende und schonende Knecht des öftern hat greifen müssen. Nein, Tegularius war ein eigenwilliger, launischer, zur ernstlichen Einordnung nicht gewillter Charakter, immer wieder zwar von lebendiger Geistigkeit und

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