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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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in angeregten Stunden bezaubernd, wo sein pessimistischer Witz sprühte und keiner sich der Kühnheit und oft düstern Pracht seiner Einfälle entziehen konnte, aber er war im Grunde unheilbar, denn er wollte gar nicht geheilt sein, er gab nichts auf Harmonie und Einordnung, er liebte nichts als seine Freiheit, sein ewiges Studententum, und zog es vor, lebenslänglich der Leidende, der Unberechenbare und störrische Einzelgänger zu sein, der geniale Narr und Nihilist, statt den Weg der Einordnung in die Hierarchie zu gehen und zum Frie
den zu gelangen. Er hielt nichts vom Frieden, er gab nichts auf die Hierarchie, er machte sich wenig aus Tadel und Vereinsamung. Ein höchst unbequemer und unverdaulicher Bestand also in einer Gemeinschaft, deren Ideal Harmonie und Ordnung ist! Aber eben in dieser Schwierigkeit und Unverdaulichkeit war er inmitten einer so geklärten und geordneten kleinen Welt eine beständige lebendige Unruhe, ein Vorwurf, eine Mahnung und Warnung, ein Anreger zu neuen, kühnen, verbotenen, vermessenen Gedanken, ein bockiges, unartiges Schaf in der Herde. Und dies, meinen wir, war es, wodurch er trotz allem diesen Freund gewann. Gewiß hat in Knechts Verhältnis zu ihm stets auch das Mitleid eine Rolle gespielt, der Appell des Gefährdeten und meist Unglücklichen an alle ritterlichen Gefühle des Freundes. Aber dies hätte nicht genügt, auch nach Knechts Erhebung zur Meisterwürde, inmitten eines mit Arbeit, Pflichten und Verantwortung überladenen Amtslebens, dieser Freundschaft das Leben zu fristen. Wir sind der Auffassung, daß in Knechts Leben dieser Tegularius nicht minder notwendig und wichtig war, als Designori und der Pater in Mariafels es waren, und zwar war er es gleich jenen beiden als ein weckendes Element, als ein offenes Fensterchen nach neuen Ausblicken hin. In diesem so merkwürdigen Freunde hat Knecht, wie wir glauben, den Vertreter eines Typus erspürt und mit der Zeit auch bewußt erkannt,
eines Typus, der noch nicht vorhanden war außer in dieser einzigen Vorläufergestalt, den Typus des Kastaliers nämlich, wie er einmal werden könnte, wenn nicht durch neue Begegnungen und Impulse das Leben Kastaliens sollte verjüngt und gekräftigt werden können. Tegularius war, wie die meisten einsamen Genies, ein Vorläufer. Er lebte tatsächlich in einem Kastalien, das noch nicht da war, aber morgen da sein konnte, in einem nach der Welt hin noch abgeschlosseneren, innerlich durch Alterung und Lockerung der meditativen Ordensmoral entartenden Kastalien, einer Welt, in welcher noch immer die höchsten Geistesflüge und die versunkenste Hingabe an hohe Werte möglich waren, wo aber eine hochentwickelte und frei spielende Geistigkeit keine Ziele mehr hatte als den Selbstgenuß ihrer hochgezüchteten Fähigkeiten. Tegularius bedeutete für Knecht zugleich die Verkörperung höchster kastalischer Fähigkeiten und das mahnende Vorzeichen für deren Demoralisierung und Untergang. Es war wunderbar und köstlich, daß es diesen Fritz gab. Aber die Auflösung Kastaliens in ein von lauter Tegulariussen bevölkertes Traumreich mußte verhindert werden. Die Gefahr, daß es dazu kommen könnte, war noch fern, aber sie war vorhanden. Das Kastalien, wie Knecht es kannte, brauchte nur die Mauern seiner vornehmen Isoliertheit noch ein wenig höher zu bauen, es brauchte nur ein Verfall der Ordenszucht, ein Sinken
der hierarchischen Moral hinzuzukommen, so war Tegularius kein wunderlicher Einzelner mehr, sondern der Repräsentant eines entartenden und niedergehenden Kastaliens. Daß die Möglichkeit, ja der Beginn oder eine Disponiertheit zu solchem Verfall vorhanden sei, diese wichtigste Erkenntnis und Sorge des Magisters Knecht wäre ihm vermutlich weit später oder am Ende nie gekommen, hätte nicht neben ihm, und von ihm aufs genaueste gekannt, dieser Zukunftskastalier gelebt; er war für Knechts wachen Sinn ein Symptom und Mahnruf, wie es für einen klugen Arzt der erste von einer noch unbekannten Krankheit Befallene wäre. Und Fritz war ja kein Durchschnittsmensch, er war ein Aristokrat, eine Begabung von hohen Graden. Würde die noch unbekannte, im Vorläufer Tegularius zum erstenmal sichtbar gewordene Krankheit einmal um sich greifen und das Bild des kastalischen Menschen ändern, würden Provinz und Orden einmal die entartete, kranke Gestalt annehmen, so würden diese Zukunftskastalier nicht lauter Tegulariusse sein, sie würden nicht seine köstlichen Gaben, seine melancholische Genialität,

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