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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Verfasser sein? Der Stil verriet ihn nicht, es war der gangbare, unpersönliche Behördenstil, wie der Anlaß ihn forderte. Bei zarterem Ab
tasten ergab jedoch das Schreiben mehr an Eigenart und Persönlichkeit, als man beim ersten Lesen vermutet hätte. Die Grundlage des ganzen Dokumentes war hierarchischer Ordensgeist, Gerechtigkeit und Ordnungsliebe. Man konnte deutlich sehen, wie unwillkommen, unbequem, ja lästig und ärgerniserweckend Knechts Gesuch gewirkt hatte, seine Ablehnung war sicher vom Verfasser dieser Antwort schon bei der ersten Kenntnisnahme und unbeeinflußt von den Urteilen anderer beschlossen worden. Dagegen stand dem Unwillen und der Abwehr doch eine andre Bewegung und Stimmung entgegen, eine spürbare Sympathie, ein Betonen aller milden und freundschaftlichen Urteile und Äußerungen, die in der Sitzung über Knechts Gesuch gefallen waren. Knecht zweifelte nicht daran, daß Alexander, der Vorstand der Ordensleitung, der Verfasser der Antwort sei.
     
    Wir haben hier das Ende unseres Weges erreicht und hoffen, alles Wesentliche von Josef Knechts Lebenslauf berichtet zu haben. Über das Ende dieses Lebenslaufes wird ein späterer Biograph ohne Zweifel noch manche Einzelheit feststellen und mitteilen können.
    Wir verzichten darauf, eine eigene Darstellung von des Magisters letzten Tagen zu geben, wir wissen über sie nicht mehr als jeder Waldzeller Student und könn
ten es auch nicht besser machen als die »Legende vom Glasperlenspielmeister«, welche bei uns in vielen Abschriften zirkuliert und vermutlich bevorzugte Schüler des Dahingegangenen zu Verfassern hat. Diese Legende möge unser Buch beschließen.

Die Legende
    Wenn wir die Unterhaltungen der Kameraden über das Verschwinden unseres Meisters, über dessen Ursachen, über Recht und Unrecht seiner Entschlüsse und Schritte, über Sinn oder Widersinn seines Schicksals anhören, so muten sie uns an wie die Erörterungen des Diodorus Siculus über die mutmaßlichen Ursachen der Überschwemmungen des Nils, und es schiene uns nicht nur unnütz, sondern unrecht, diese Erörterungen noch um neue zu vermehren. Statt dessen wollen wir in unserem Herzen das Andenken des Meisters pflegen, der so bald nach seinem geheimnisvollen Aufbruch in die Welt in ein noch fremderes und geheimnisvolleres Jenseits hinübergegangen ist. Seinem uns teuren Andenken zu dienen, wollen wir aufzeichnen, was uns über diese Ereignisse zu Ohren gekommen ist.
    Nachdem der Meister den Brief gelesen hatte, in welchem die Behörde sein Gesuch abschlägig beschied, spürte er ein leises Schaudern, ein Morgengefühl von
Kühle und Nüchternheit, das ihm anzeigte, die Stunde sei gekommen und es gebe nun kein Zögern und Verweilen mehr. Dies eigene Gefühl, das er »Erwachen« nannte, war ihm von den entscheidenden Augenblicken seines Lebens her bekannt, es war ein belebendes und zugleich schmerzliches, eine Mischung von Abschied und Aufbruch, tief im Unbewußten rüttelnd wie Frühlingssturm. Er sah nach der Uhr, in einer Stunde hatte er eine Kurslektion zu halten. Er beschloß, diese Stunde der Einkehr zu widmen, und begab sich in den stillen Magistergarten. Auf dem Wege dahin begleitete ihn eine Verszeile, die ihm plötzlich eingefallen war:
     
    Denn jedem Anfang ist ein Zauber eigen . . .
     
    die sagte er vor sich hin, nicht wissend, bei welchem Dichter er sie einst gelesen habe, aber der Vers sprach ihn an und gefiel ihm und schien dem Erlebnis der Stunde ganz zu entsprechen. Im Garten setzte er sich auf eine mit ersten welken Blättern bestreute Bank, regelte die Atmung und kämpfte um die innere Stille, bis er geklärten Herzens in Betrachtung versank, in der die Konstellation dieser Lebensstunde sich in allgemeinen, überpersönlichen Bildern ordnete. Auf dem Rückweg zum kleinen Hörsaal aber meldete sich schon wieder jener Vers, er mußte ihm wieder nachsinnen und fand, er müsse etwas anders lauten. Bis
plötzlich sein Gedächtnis sich erhellte und ihm zu Hilfe kam. Leise sprach er vor sich hin:
     
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
     
    Aber erst gegen Abend, als längst die Kursstunde gehalten und allerlei andere Tagesarbeit getan war, entdeckte er die Herkunft jener Verse. Sie standen nicht bei irgendeinem alten Dichter, sie standen in einem seiner eigenen Gedichte, die er einst als Schüler und Student geschrieben hatte, und das Gedicht endete mit der Zeile:
     
    Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und

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