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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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gesunde!
     
    Noch an diesem Abend beschied er seinen Stellvertreter zu sich und eröffnete ihm, daß er morgen für unbestimmte Zeit verreisen müsse. Er übergab ihm alles Laufende mit kurzen Anweisungen und verabschiedete sich freundlich und sachlich wie sonst vor einer kurzen Amtsreise.
    Daß er den Freund Tegularius verlassen müsse, ohne ihn einzuweihen und ihn mit einem Abschiednehmen zu belasten, war ihm schon früher klargeworden. Er mußte so handeln, nicht nur um den so empfindlichen Freund zu schonen, sondern auch um seinen ganzen Plan nicht zu gefährden. Mit ei
ner vollzogenen Handlung und Tatsache würde sich der andre vermutlich schon abfinden, während eine überraschende Aussprache und Abschiedsszene ihn zu unliebsamen Unbeherrschtheiten hinreißen konnte. Knecht hatte eine Weile sogar daran gedacht, abzureisen, ohne ihn überhaupt noch einmal zu sehen. Nun er dies überlegte, fand er aber doch, daß es einer Flucht vor dem Schwierigen allzu ähnlich sein würde. So klug und richtig es sein mochte, dem Freunde eine Szene und Aufregung und eine Gelegenheit zu Torheiten zu ersparen, so wenig durfte er sich selbst eine solche Schonung gönnen. Es war noch eine halbe Stunde bis zur Zeit der Nachtruhe, er konnte Tegularius noch aufsuchen, ohne ihn oder sonst jemanden zu stören. Es war schon Nacht auf dem weiten Innenhof, den er überschritt. Er klopfte an seines Freundes Zelle, mit dem eigentümlichen Gefühl: zum letztenmal, und fand ihn allein. Erfreut begrüßte ihn der beim Lesen Überraschte, legte sein Buch beiseite und hieß den Besucher sitzen.
    »Ein altes Gedicht ist mir heute eingefallen«, fing Knecht zu plaudern an, »oder doch einige Verse daraus. Vielleicht weißt du, wo das Ganze zu finden ist?« Und er zitierte: »Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne . . .«
    Der Repetent brauchte sich nicht lange zu bemühen. Er erkannte das Gedicht nach kurzem Nachdenken wieder, stand auf und holte aus einem Pultfach
das Manuskript von Knechts Gedichten, die Urhandschrift, welche dieser ihm einst geschenkt hatte. Er suchte darin und zog zwei Blätter heraus, welche die erste Niederschrift des Gedichtes trugen. Er reichte sie dem Magister hin.
    »Hier«, sagte er lächelnd, »der Ehrwürdige möge sich bedienen. Es ist das erstemal seit vielen Jahren, daß Ihr Euch dieser Dichtungen zu erinnern geruht.«
    Josef Knecht betrachtete die Blätter aufmerksam und nicht ohne Bewegung. Als Student, während seines Aufenthaltes im ostasiatischen Studienhaus, hatte er diese beiden Blätter einst mit Verszeilen beschrieben, eine ferne Vergangenheit blickte ihn aus ihnen an, alles sprach von einem beinahe vergessenen, nun mahnend und schmerzlich wieder erwachenden Ehemals, das schon leicht angegilbte Papier, die jugendliche Handschrift, die Streichungen und Korrekturen im Text. Er meinte sich nicht nur des Jahres und der Jahreszeit zu erinnern, in welchen diese Verse entstanden waren, sondern auch des Tages und der Stunde, und zugleich jener Stimmung, jenes starken und stolzen Gefühls, das ihn damals erfüllt und beglückt hatte und dem die Verse Ausdruck gaben. Er hatte sie an einem jener besonderen Tage geschrieben, an welchen das seelische Erlebnis ihm zuteil geworden war, das er Erwachen nannte.
    Sichtlich war die Überschrift des Gedichtes, noch
vor dem Gedicht selbst, als dessen erste Zeile entstanden. Mit großen Buchstaben in stürmischer Handschrift war sie hingesetzt und lautete:
    »Transzendieren!«
    Später erst, zu einer anderen Zeit, in anderer Stimmung und Lebenslage, war diese Überschrift samt dem Ausrufezeichen gestrichen und war in kleineren, dünneren, bescheideneren Schriftzeichen dafür eine andere hingeschrieben worden. Sie hieß »Stufen«.
    Knecht erinnerte sich jetzt wieder, wie er damals, vom Gedanken seines Gedichtes beschwingt, das Wort »Transzendieren!« hingeschrieben hatte, als einen Zuruf und Befehl, eine Mahnung an sich selbst, als einen neu formulierten und bekräftigten Vorsatz, sein Tun und Leben unter dies Zeichen zu stellen und es zu einem Transzendieren, einem entschlossen-heitern Durchschreiten, Erfüllen und Hintersichlassen jedes Raumes, jeder Wegstrecke zu machen. Halblaut las er einige Strophen vor sich hin:
     
    »Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.«
     
    »Ich hatte die Verse viele Jahre vergessen«, sagte er, »und

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