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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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die Courage betrifft, mein Lieber, da wäre ich noch zu ganz anderen Streichen fähig. Gute Nacht, alter Nörgler!«
    Fröhlich verließ er die Zelle, unterwegs jedoch in den nächtlich leeren Gängen und Höfen der Siedlung kam der Ernst ihm wieder, der Ernst des Abschieds. Abschiednehmen weckt stets Erinnerungsbilder, und ihn suchte auf diesem Gange die Erinnerung an jenes erste Mal heim, da er, noch ein Knabe, als neu eingerückter Waldzeller Schüler seinen ersten ahnungs- und hoffnungsvollen Gang durch Waldzell und den Vicus Lusorum getan hatte, und nun erst, inmitten der nachtkühlen schweigenden Bäume und Gebäude, spürte er durchdringend und schmerzlich, daß er dies alles nun zum letztenmal vor Augen habe, zum letztenmal dem Stillwerden und Einschlummern der tagsüber so belebten Siedlung lausche, zum letztenmal das kleine Licht überm Pförtnerhaus sich im Brunnenbecken spiegeln, zum letztenmal das Nachtgewölk über die Bäume seines Magistergartens ziehen sehe. Er schritt langsam alle Wege und Winkel des Spielerdorfes ab, fühlte ein Verlangen, noch ein
mal die Pforte zu seinem Garten zu öffnen und einzutreten, doch hatte er den Schlüssel nicht bei sich, das half ihm rasch zur Ernüchterung und Rückbesinnung. Er kehrte in seine Wohnung zurück, schrieb noch einige Briefe, darunter eine Ankündigung seines Eintreffens an Designori in die Hauptstadt, dann befreite er sich in sorgfältiger Meditation von den Seelenwallungen dieser Stunde, um morgen stark zu sein für seine letzte Arbeit in Kastalien, die Aussprache mit dem Ordensleiter.
    Zur gewohnten Stunde erhob sich der Magister andern Morgens, bestellte den Wagen und fuhr davon, nur wenige bemerkten seine Abreise, niemand dachte sich etwas dabei. Durch den von ersten Frühherbstnebeln getränkten Morgen fuhr er nach Hirsland, kam gegen Mittag an und ließ sich beim Magister Alexander, dem Vorstand der Ordensleitung, melden. Bei sich trug er, in ein Tuch geschlagen, ein schönes metallenes Kästchen, das er aus einem Geheimfach seiner Kanzlei mitgenommen hatte und das die Insignien seiner Würde, die Siegel und Schlüssel, enthielt.
    In der »großen« Amtsstube der Ordensleitung empfing man ihn etwas überrascht, es war kaum jemals vorgekommen, daß ein Magister hier unangemeldet oder uneingeladen erschien. Im Auftrag des Ordensleiters wurde er bewirtet, dann öffnete man ihm eine Ruhezelle im alten Kreuzgang und teilte
ihm mit, der Ehrwürdige hoffe in zwei oder drei Stunden sich für ihn freimachen zu können. Er ließ sich ein Exemplar der Ordensregeln geben und ließ sich nieder, durchlas das ganze Heft und vergewisserte sich ein letztes Mal der Einfachheit und Legalität seines Vorhabens, dessen Sinn und innere Berechtigung mit Worten aufzuzeigen ihm dennoch auch in dieser Stunde noch eigentlich unmöglich schien. Er erinnerte sich eines Satzes in den Regeln, über welchen man ihn einst, in den letzten Tagen seiner Jugendfreiheit und Studienzeit, hatte meditieren lassen, es war im Augenblick vor seiner Aufnahme in den Orden gewesen. Er las den Satz nach, gab sich der Betrachtung hin und spürte dabei, ein wie ganz andrer er zur Stunde sei als der etwas ängstliche junge Repetent, der er damals gewesen war.
    »Beruft dich die hohe Behörde«, so hieß es an jener Stelle der Regel, »in ein Amt, so wisse: jeder Aufstieg in der Stufe der Ämter ist nicht ein Schritt in die Freiheit, sondern in die Bindung. Je größer die Amtsgewalt, desto strenger der Dienst. Je stärker die Persönlichkeit, desto verpönter die Willkür.« Wie hatte dies alles einst so endgültig und so eindeutig geklungen, und wie sehr hatte doch die Bedeutung mancher Worte, zumal so verfänglicher Worte wie »Bindung«, »Persönlichkeit«, »Willkür« sich seit damals für ihn gewandelt, ja umgekehrt! Und wie waren sie doch schön, klar, festgefügt und bewundernswert sugge
stiv, diese Sätze, wie konnten sie einem jungen Geiste absolut, zeitlos und durch und durch wahr erscheinen! O, und sie wären dies ja auch gewesen, wäre nur Kastalien die Welt, die ganze, mannigfaltige und doch unteilbare, statt daß es eben nur ein Weltchen in der Welt oder ein kühner und gewaltsamer Ausschnitt aus ihr war! Wäre die Erde eine Eliteschule, wäre der Orden die Gemeinschaft aller Menschen und der Ordensvorstand Gott, wie vollkommen wären dann jene Sätze und die ganze Regel! Ach, wäre es doch so gewesen, wie hold, wie blühend und unschuldig schön wäre das Leben! Und einst war es

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