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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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historisch-politischen Betrachtungen, im einzelnen aber wurde keine Eurer Vermutungen, oder sollen wir sagen Prophezeiungen, in ihrem vollen Umfang gebilligt und als überzeugend angenommen. Auch in der Frage, wieweit der Orden und die kastalische Ordnung an der Erhaltung der ungewöhnlich langen Friedensperiode mitbeteiligt seien, ja wieweit sie überhaupt und grundsätzlich als Faktoren der politischen Geschichte und Zustände gelten könnten, wurde Euch nur von wenigen, und auch da mit Vorbehalten, zugestimmt. Es sei, so etwa lautete die Meinung der Majorität, die nach Ablauf der kriegerischen Epochen in unsrem Erdteil eingetretene Ruhe zum Teil der allgemeinen Erschöpfung und Ausblutung als Folge der vorangegangenen furchtbaren Kriege zuzuschreiben, weit mehr aber noch dem Umstand, daß damals das Abendland aufgehört habe, Brennpunkt der Weltgeschichte und Kampf
platz der Hegemonieansprüche zu sein. Ohne die Verdienste des Ordens im mindesten in Zweifel zu ziehen, könne man dem kastalischen Gedanken, dem Gedanken einer hohen Geistesbildung unter dem Zeichen kontemplativer Seelenzucht, eine eigentlich geschichtsbildende Kraft, das heißt einen lebendigen Einfluß auf die politischen Weltzustände nicht zuerkennen, wie denn ein Antrieb und Ehrgeiz dieser Art dem ganzen Charakter des kastalischen Geistes denkbar fernliege. Es sei, so wurde in einigen sehr ernsten Ausführungen zum Thema betont, weder der Wille, noch sei es die Bestimmung Kastaliens, politisch zu wirken und auf Frieden und Krieg Einfluß zu nehmen, und es könne von solcher Bestimmung schon darum nicht die Rede sein, weil alles Kastalische sich auf die Vernunft beziehe und sich innerhalb des Vernünftigen abspiele, was doch wohl von der Weltgeschichte nicht gesagt werden könne, es sei denn, man falle in die theologisch-dichterischen Schwärmereien der romantischen Geschichtsphilosophie zurück und erkläre den ganzen Mord- und Vernichtungsapparat der Mächte, welche die Geschichte machen, als Methoden der Weltvernunft. Auch sei es ja schon bei flüchtigstem Überblick über die Geistesgeschichte einleuchtend, daß die hohen Blütezeiten des Geistes sich im Grunde niemals aus den politischen Zuständen erklären ließen, vielmehr die Kultur oder der Geist oder die Seele ihre eigene
Geschichte habe, welche neben der sogenannten Weltgeschichte, das heißt den nie ruhenden Kämpfen um die materielle Macht, wie eine zweite, heimliche, unblutige und heilige Geschichte einherlaufe. Einzig mit dieser heiligen und heimlichen, nicht mit der »wirklichen« brutalen Weltgeschichte habe unser Orden es zu tun, und niemals könne es seine Aufgabe sein, die politische Geschichte zu bewachen oder gar sie machen zu helfen.
    Es möge nun also die weltpolitische Konstellation wirklich so sein, wie Euer Rundschreiben sie andeutet, oder nicht, in jedem Falle stehe es dem Orden nicht zu, anders als abwartend und duldend dazu Stellung zu nehmen. Und so wurde, gegen einige Stimmen, Eure Meinung, wir sollten diese Konstellation als einen Aufruf zu aktiver Stellungnahme betrachten, von der Majorität entschieden abgelehnt. Was Eure Auffassung der heutigen Weltlage und Eure Andeutungen über die nächste Zukunft betrifft, so haben sie zwar sichtlich auf die Mehrzahl der Kollegen einen gewissen Eindruck gemacht, auf einige der Herren sogar wie eine Sensation gewirkt, doch konnte auch in diesem Punkte, so sehr die meisten Redner ihren Respekt vor Euren Kenntnissen und Eurem Scharfsinn bezeugten, eine Übereinstimmung der Mehrheit mit Euch nicht festgestellt werden, im Gegenteil. Es herrschte vielmehr die Neigung vor, Eure Äußerungen hierüber zwar als bemerkenswert
und in hohem Maße interessant, jedoch als übertrieben pessimistisch zu beurteilen. Es meldete sich auch eine Stimme, welche fragte, ob es denn nicht gefährlich, ja frevelhaft, zumindest aber als leichtsinnig zu bezeichnen sei, wenn ein Magister es unternimmt, seine Behörde durch so düstere Bilder angeblich nahender Gefahren und Prüfungen zu erschrecken. Gewiß sei eine gelegentliche Mahnung an die Vergänglichkeit aller Dinge erlaubt, und müsse jedermann, und gar jeder auf hohem und verantwortlichem Posten Stehende, sich je und je das Memento mori zurufen; so verallgemeinernd jedoch und nihilistisch dem gesamten Stande der Magister, dem gesamten Orden, der gesamten Hierarchie ein angeblich nahe bevorstehendes Ende zu verkündigen, sei nicht nur eine unwürdige Attacke auf die Seelenruhe und Phantasie der

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