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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und behielten ihren Wert und ihren Zauber, sie bestanden im Jasagen, statt Verneinen, im Gehorchen, statt Ausweichen und vielleicht ein wenig auch darin, daß man so handelte und dachte, als sei man Herr und aktiv, daß man das Leben und die Selbsttäuschung, diese Spiegelung mit dem Anschein von Selbstbestimmung und Verantwortung, ungeprüft hinnahm, daß man aus unbekannten Ursachen eben doch im Grunde mehr zum Tun als zum Erkennen, mehr triebhaft als geistig geschaffen war. Oh, hierüber ein Gespräch mit Pater Jakobus haben zu können!
    Gedanken oder Träumereien ähnlicher Art waren der Nachklang seiner Meditation. Es ging, so schien es, beim »Erwachen« nicht um die Wahrheit und die Erkenntnis, sondern um die Wirklichkeit und deren Erleben und Bestehen. Im Erwachen drang man nicht näher an den Kern der Dinge, an die Wahrheit heran, man erfaßte, vollzog oder erlitt dabei nur die Einstellung des eigenen Ich zur augenblicklichen Lage der Dinge. Man fand nicht Gesetze dabei, sondern Entschlüsse, man geriet nicht in den Mittelpunkt der Welt, aber in den Mittelpunkt der eigenen Person. Darum war auch das, was man dabei erlebte, so wenig mitteilbar, so merkwürdig dem Sagen und Formulieren entrückt; Mitteilungen aus diesem Bereich des Lebens schienen nicht zu den Zwecken der Sprache zu zählen. Wurde man ausnahmsweise dabei einmal ein Stück weit verstanden, dann war der Verstehende ein Mann in ähnlicher Lage, ein Mitleidender oder Miterwachender. Ein Stückchen weit hatte Fritz Tegularius ihn gelegentlich verstanden, noch weiter hatte Plinios Verständnis gereicht. Wen konnte er sonst noch nennen? Niemand.
    Es fing schon an zu dämmern, und er war in seinem Gedankenspiel völlig entrückt und eingesponnen, als man an die Türe pochte. Da er nicht gleich wach war und antwortete, wartete der Draußenstehende ein wenig und versuchte es dann abermals mit leisem Klopfen. Jetzt gab Knecht Antwort, erhob
sich und ging mit dem Boten, der ihn ins Kanzleigebäude und ohne weitere Anmeldung in das Arbeitszimmer des Vorstands führte. Meister Alexander kam ihm entgegen.
    »Schade«, sagte er, »daß Ihr unangemeldet kommt; so habt Ihr warten müssen. Ich bin voll Erwartung, zu erfahren, was Euch so plötzlich hergeführt hat. Es ist doch nichts Schlimmes?«
    Knecht lachte. »Nein, nichts Schlimmes. Aber komme ich wirklich so ganz unerwartet, und könnt Ihr Euch gar nicht denken, was es sei, das mich hertreibt?«
    Alexander blickte ihm ernst und mit Besorgnis in die Augen. »Nun ja«, sagte er, »denken kann ich mir dies und jenes. Ich dachte mir zum Beispiel schon dieser Tage, daß die Angelegenheit Eures Rundschreibens gewiß für Euch noch nicht erledigt sei. Die Behörde mußte es etwas knapp beantworten und in einem für Euch, Domine, vielleicht enttäuschenden Sinn und Ton.«
    »Nein«, meinte Josef Knecht, »im Grunde hatte ich kaum etwas anderes erwartet, als was die Antwort der Behörde dem Sinn nach enthält. Und was den Ton betrifft, gerade der Ton tat mir wohl. Ich merkte dem Schreiben an, daß es seinem Verfasser Mühe, ja beinahe Kummer gemacht und daß er das Bedürfnis gefühlt habe, der für mich unangenehmen und etwas beschämenden Antwort einige Tropfen Honig bei
zumischen, und das ist ihm ja vortrefflich gelungen, ich bin ihm dafür dankbar.«
    »Und den Inhalt des Schreibens habt Ihr also, Verehrter, angenommen?«
    »Zur Kenntnis genommen, ja, und im Grunde auch verstanden und gebilligt. Die Antwort konnte wohl nichts andres bringen als eine Abweisung meines Gesuches, verbunden mit einer sanften Vermahnung. Mein Rundschreiben war etwas Ungewohntes und für die Behörde recht Unbequemes, darüber war ich nie im Zweifel. Es war aber außerdem, insofern es ein persönliches Gesuch enthielt, vermutlich nicht sehr zweckmäßig abgefaßt. Ich konnte kaum eine andre als eine abschlägige Antwort erwarten.«
    »Es ist uns lieb«, sagte der Vorstand der Ordensleitung mit einem Hauch von Schärfe, »daß Ihr es so anseht und daß unser Schreiben Euch also nicht etwa in einem schmerzlichen Sinn hat überraschen können. Sehr lieb ist uns das. Aber noch verstehe ich eines nicht. Wenn Ihr beim Abfassen und Absenden Eures Schreibens – ich verstehe Euch doch richtig? – schon an einen Erfolg und eine bejahende Antwort nicht geglaubt habt, ja im voraus vom Mißerfolg überzeugt wart, warum habt Ihr dann Euer Rundschreiben, das doch immerhin auch eine große Arbeit bedeutete, zu Ende und ins Reine geschrieben und

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