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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ja auch wirklich so gewesen, einst hatte er es so sehen und erleben können: den Orden und den kastalischen Geist als das Göttliche und Absolute, die Provinz als Welt, die Kastalier als Menschheit und den nichtkastalischen Teil des Ganzen als eine Art Kinderwelt, eine Vorstufe der Provinz, ein der letzten Kultur und Erlösung noch wartender Urboden, der zu Kastalien mit Ehrfurcht emporblickte und ihm je und je so liebenswürdige Besuche zusandte wie den jungen Plinio.
    Wie eigentümlich stand es doch auch um ihn selbst, um Josef Knecht und seinen eigenen Geist! Hatte er nicht jene ihm eigene Art von Einsicht und Erkenntnis, jenes Erleben der Wirklichkeit, das er als Erwachen bezeichnete, in früheren Zeiten, ja gestern noch, als ein schrittweises Vordringen ins Herz der Welt, ins Zentrum der Wahrheit betrachtet, als
etwas gewissermaßen Absolutes, als einen Weg oder ein Fortschreiten, das man zwar nur schrittweise vollziehen konnte, das aber in der Idee kontinuierlich und gradlinig war? War es ihm einst, in der Jugend, nicht als Erwachen, als Fortschritt, als unbedingt wertvoll und richtig erschienen, die Außenwelt zwar in der Gestalt Plinios anzuerkennen, sich aber bewußt und genau als Kastalier von ihr zu distanzieren? Und wieder war es ein Fortschritt und war Wahrhaftigkeit gewesen, als er nach jahrelangen Zweifeln sich für das Glasperlenspiel und das Waldzeller Leben entschied. Und wieder, als er sich von Meister Thomas in den Dienst einreihen und durch den Musikmeister in den Orden aufnehmen, und als er später sich zum Magister ernennen ließ. Es waren lauter kleine oder große Schritte auf einem scheinbar geradlinigen Weg gewesen – und doch stand er jetzt, am Ende dieses Weges, keineswegs im Herzen der Welt und im Innersten der Wahrheit, sondern auch das jetzige Erwachen war nur ein Augenaufschlagen und ein Sichwiederfinden in neuer Lage, ein Sicheinfügen in neue Konstellationen gewesen. Derselbe strenge, klare, eindeutige, gradlinige Pfad, der ihn nach Waldzell, nach Mariafels, in den Orden, in das Magisteramt geführt hatte, der führte ihn nun wieder hinaus. Was eine Folge von Akten des Erwachens gewesen, war zugleich eine Folge von Abschieden. Kastalien, das Glasperlenspiel, die Meisterwürde wa
ren jedes ein Thema gewesen, welches abzuwandeln und zu erledigen, ein Raum, der zu durchschreiten, zu transzendieren gewesen war. Schon lagen sie hinter ihm. Und offenbar hatte er einstmals, als er das Gegenteil von dem dachte und tat, was er heute dachte und tat, doch schon etwas von dem fragwürdigen Sachverhalt gewußt oder doch geahnt; hatte er nicht über jenes Gedicht, das er als Student geschrieben und das von den Stufen und den Abschieden handelte, den Ausruf »Transzendieren!« gesetzt?
    So war sein Weg denn im Kreise gegangen, oder in einer Ellipse oder Spirale, oder wie immer, nur nicht geradeaus, denn das Geradlinige gehörte offenbar nur der Geometrie, nicht der Natur und dem Leben an. Der Selbstermahnung und Selbstermutigung seines Gedichtes aber hatte er, auch nachdem er das Gedicht und sein damaliges Erwachen längst vergessen hatte, treulich Folge geleistet, nicht vollkommen zwar, nicht ohne Zögerungen, Zweifel, Anwandlungen und Kämpfe, aber durchschritten hatte er Stufe um Stufe, Raum nach Raum tapfer, gesammelt und leidlich heiter, nicht so strahlend wie der alte Musikmeister, doch ohne Müdigkeit und Trübung, ohne Abfall und Untreue. Und wenn er jetzt für kastalische Begriffe Abfall und Untreue beging, wenn er, aller Ordensmoral entgegen, scheinbar im Dienst der eigenen Persönlichkeit, also in Willkür handelte, so würde auch dies im Geiste der Tapferkeit und der Musik
geschehen, taktfest also und heiter, gehe es im übrigen, wie es möge. Hätte er doch, was ihm selber so klar schien, auch den andern klarmachen und beweisen können: daß nämlich die »Willkür« seines jetzigen Handelns in Wahrheit Dienst und Gehorsam war, daß er nicht einer Freiheit, sondern neuen, unbekannten und unheimlichen Bindungen entgegenging, nicht ein Flüchtling, sondern ein Gerufener, nicht eigenwillig, sondern gehorchend, nicht Herr, sondern Opfer! Und wie stand es dann mit den Tugenden, mit der Heiterkeit, dem Takthalten, der Tapferkeit? Sie wurden klein, aber sie blieben bestehen. Wenn es schon kein Gehen, sondern nur ein Geführtwerden, wenn es schon kein eigenmächtiges Transzendieren gab, sondern nur ein Sichdrehen des Raumes um den in seiner Mitte Stehenden, so bestanden die Tugenden dennoch

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