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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und war mir seither, gleich dem ›Erwachen‹, ein rechtes Zauberwort, fordernd und treibend, tröstend und versprechend. Mein Leben, so etwa nahm ich mir vor, sollte ein Transzendieren sein, ein Fortschreiten von Stufe zu Stufe, es sollte ein Raum um den andern durchschritten und zurückgelassen werden, so wie eine Musik Thema um Thema, Tempo um Tempo erledigt, abspielt, vollendet und hinter
sich läßt, nie müde, nie schlafend, stets wach, stets vollkommen gegenwärtig. Im Zusammenhang mit den Erlebnissen des Erwachens hatte ich gemerkt, daß es solche Stufen und Räume gibt und daß jeweils die letzte Zeit eines Lebensabschnittes eine Tönung von Welke und Sterbenwollen in sich trägt, welche dann zum Hinüberwechseln in einen neuen Raum, zum Erwachen, zu neuem Anfang führt. Auch dieses Bild, das vom Transzendieren, teile ich Euch mit, als ein Mittel, das vielleicht mein Leben deuten hilft. Die Entscheidung für das Glasperlenspiel war eine wichtige Stufe, nicht weniger die erste spürbare Einordnung in die Hierarchie. Auch in meinem Amt als Magister noch habe ich solche Stufengänge erlebt. Das Beste, was das Amt mir brachte, war die Entdeckung, daß nicht nur Musizieren und Glasperlenspielen beglückende Tätigkeiten sind, sondern auch Lehren und Erziehen. Und allmählich entdeckte ich noch weiter, daß das Erziehen mir desto mehr Freude mache, je jünger und unverbildeter die Zöglinge waren. Auch dies führte, wie manches andre, mit den Jahren dahin, daß ich mir junge und immer jüngere Schüler wünschte, daß ich am liebsten Lehrer an einer Anfängerschule geworden wäre, kurz, daß meine Phantasie sich zuweilen mit Dingen beschäftigte, welche schon außerhalb meines Amtes lagen.«
    Er machte eine Ruhepause. Der Vorstand bemerkte: »Ihr setzt mich immer mehr in Erstaunen, Magi
ster. Da sprecht Ihr von Eurem Leben, und es ist kaum von etwas andrem die Rede als von privaten, subjektiven Erlebnissen, persönlichen Wünschen, persönlichen Entwicklungen und Entschlüssen! Ich wußte wirklich nicht, daß ein Kastalier Euren Ranges sich und sein Leben so sehen könne.«
    Seine Stimme hatte einen Klang zwischen Vorwurf und Trauer, der Knecht weh tat; doch faßte er sich und rief munter: »Aber Hochverehrter, wir sprechen zur Stunde ja nicht von Kastalien, von der Behörde und der Hierarchie, sondern einzig von mir, von der Psychologie eines Mannes, der Euch leider große Ungelegenheiten hat bereiten müssen. Von meiner Amtsführung, meiner Pflichterfüllung, meinem Wert oder Unwert als Kastalier und als Magister zu sprechen, steht mir nicht zu. Meine Amtsführung liegt, wie die ganze Außenseite meines Lebens, offen und nachprüfbar vor Euch, viel werdet Ihr nicht zu strafen finden. Worum es hier geht, ist ja etwas ganz anderes, nämlich Euch den Weg sichtbar zu machen, den ich als Einzelner gegangen bin und der mich jetzt aus Waldzell hinausgeführt hat und morgen zu Kastalien hinausführen wird. Hört mir noch eine kleine Weile zu, seid so gütig!
    Daß ich vom Vorhandensein einer Welt außerhalb unsrer kleinen Provinz wußte, verdanke ich nicht meinen Studien, in welchen diese Welt nur als ferne Vergangenheit vorkam, sondern zuerst meinem Mit
schüler Designori, der ein Gast von draußen war, und später meinem Aufenthalt bei den Benediktinervätern und dem Pater Jakobus. Es war sehr wenig, was ich mit eigenen Augen von der Welt gesehen habe, aber durch jenen Mann bekam ich eine Ahnung von dem, was man Geschichte nennt, und es mag sein, daß ich schon damit den Grund zu der Isolierung legte, in die ich nach meiner Rückkehr geriet. Meine Rückkehr aus dem Kloster geschah in ein nahezu geschichtsloses Land, in eine Provinz von Gelehrten und Glasperlenspielern, eine höchst vornehme und auch höchst angenehme Gesellschaft, in welcher ich aber mit meiner Ahnung von der Welt, meiner Neugierde auf sie, meiner Teilnahme für sie ganz allein zu stehen schien. Es war genug da, um mich dafür zu entschädigen; es gab da einige Männer, die ich hoch verehrte und deren Kollege zu werden mir eine beschämende und beglückende Ehre war, und eine Menge von gut erzogenen und hochgebildeten Leuten, es gab auch Arbeit genug und recht viele begabte und liebenswerte Schüler. Nur hatte ich während meiner Lehrzeit bei Pater Jakobus die Entdeckung gemacht, daß ich nicht nur ein Kastalier, sondern auch ein Mensch sei, daß die Welt, die ganze Welt mich angehe und Anspruch auf mein Mitleben in ihr habe. Aus dieser Entdeckung

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