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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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wer von uns am wenigsten sich traut,
    Am meisten fragt und zweifelt, wird vielleicht
    Es sein, des Wirkung in die Zeiten reicht,
    An dessen Vorbild Jugend sich erbaut;
    Und der am Zweifel an sich selber leidet,
    Wird einst vielleicht als Seliger beneidet,
    Dem keine Not und keine Furcht bewußt war,
    In dessen Zeit zu leben eine Lust war
    Und dessen Glück dem Glück der Kinder glich.
     
    Denn auch in uns lebt Geist vom ewigen Geist,
    Der aller Zeiten Geister Brüder heißt:
    Er überlebt das Heut, nicht Du und Ich.

Stufen
    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
    Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
    Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
    Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
    Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
    Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
    In andre, neue Bindungen zu geben.
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
    Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
     
    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
    An keinem wie an einer Heimat hängen,
    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
    Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
     
    Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
    Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
    Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden . . .
    Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Das Glasperlenspiel
    Musik des Weltalls und Musik der Meister
    Sind wir bereit in Ehrfurcht anzuhören,
    Zu reiner Feier die verehrten Geister
    Begnadeter Zeiten zu beschwören.
     
    Wir lassen vom Geheimnis uns erheben
    Der magischen Formelschrift, in deren Bann
    Das Uferlose, Stürmende, das Leben,
    Zu klaren Gleichnissen gerann.
     
    Sternbildern gleich ertönen sie kristallen,
    In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn,
    Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen,
    Als nach der heiligen Mitte hin.

Die drei Lebensläufe

Der Regenmacher
    Es war vor manchen tausend Jahren, und die Frauen waren an der Herrschaft: in Stamm und Familie waren es die Mutter und Großmutter, welchen Ehrfurcht und Gehorsam erwiesen wurde, bei Geburten galt ein Mädchen sehr viel mehr als ein Knabe.
    Im Dorf war eine Ahnfrau, wohl hundert oder mehr Jahre alt, von allen wie eine Königin verehrt und gefürchtet, obwohl sie schon seit Menschengedenken nur selten noch einen Finger rührte oder ein Wort sprach. An vielen Tagen saß sie vor dem Eingang ihrer Hütte, ein Gefolge von dienenden Verwandten um sie, und es kamen die Frauen des Dorfes, ihr Ehrfurcht zu erweisen, ihr ihre Angelegenheiten zu erzählen, ihre Kinder zu zeigen und zum Segnen zu bringen; es kamen die Schwangeren und baten, sie möge ihren Leib berühren und ihnen den Namen für das Erwartete geben. Die Ahnmutter legte manchmal die Hand auf, manchmal nickte sie nur oder schüttelte den Kopf oder blieb auch regungslos. Worte sagte sie selten; sie war nur da; sie war da, saß und regierte, saß und trug das weißgelbe Haar in dünnen Sträh
nen um das lederne, weitsichtige Adlergesicht, saß und empfing Verehrung, Geschenke, Bitten, Nachrichten, Berichte, Anklagen, saß und war allen bekannt als die Mutter von sieben Töchtern, als die Großmutter und Urahne von vielen Enkeln und Urenkeln, saß und trug auf den scharfgefalteten Zügen und hinter der braunen Stirn die Weisheit, die Überlieferung, das Recht, die Sitte und Ehre des Dorfes.
    Es war ein Abend im Frühling, bewölkt und früh dunkelnd. Vor der Lehmhütte der Urahne saß nicht sie selbst, aber ihre Tochter, die war kaum weniger weiß und würdig und auch nicht sehr viel weniger alt als die Urahne. Sie saß und ruhte, ihr Sitz war die Türschwelle, ein flacher Feldstein, bei kaltem Wetter mit einem Fell belegt, und weiter außen im Halbkreise hockten am Boden, im Sand oder Gras, ein paar Kinder und ein paar Weiber und Buben; die hockten hier an jedem Abend, an dem es nicht regnete oder fror, denn sie wollten die Tochter der Urahne erzählen hören, Geschichten erzählen oder Sprüche singen. Früher hatte dies die Urahne selbst getan, jetzt war sie allzu alt und nicht mehr mitteilsam, und an ihrer Stelle kauerte und erzählte die Tochter, und wie sie die Geschichten und Sprüche alle von der Urgroßmutter hatte, so hatte sie von ihr auch die Stimme, die Gestalt, die stille Würde der Haltung, der Bewegungen und des Sprechens, und die Jüngeren unter

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