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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Gesicht und sagte: ›Ich grüße dich, du hübsches Kind, hast du dich verlaufen? Komm nur mit mir, ich bringe dich nach Hause.‹ Das Kind ging mit ihr. Aber es fiel ihm ein, was Mutter und Vater ihm gesagt hatten: daß es niemals einem Fremden den Eberzahn zeigen dürfe, und so machte es im Gehen unbemerkt den Zahn vom Bastfaden los und steckte ihn in den Gürtel. Die fremde Frau lief mit dem Mädchen stundenlang, es war schon Nacht, da kamen sie ins Dorf, es war aber nicht unser Dorf, es war das Hexendorf. Da wurde das Mädchen in einen finsteren Stall gesperrt, die Hexe aber ging in ihre Hütte schlafen. Am Morgen sagte die Hexe: ›Hast du nicht einen Eberzahn bei dir?‹ Das Kind sagte: nein, es habe wohl einen gehabt, aber der sei ihm im Walde verlorengegangen, und sie zeigte ihr Halsbändchen aus Bast, an dem kein Zahn mehr hing. Da holte die Hexe einen steinernen Topf, in dem war Erde, und in der Erde wuchsen drei Kräuter. Das Kind schaute die Kräuter an und fragte, was damit sei. Die Hexe deutete auf das erste Kraut und sagte: ›Das ist das Leben deiner Mutter.‹ Dann deutete sie auf das zweite und
sagte: ›Das ist das Leben deines Vaters.‹ Dann deutete sie auf das dritte Kraut: ›Und das ist dein eigenes Leben. Solang diese Kräuter grün sind und wachsen, seid ihr am Leben und gesund. Wird eines welk, dann wird der krank, dessen Leben es bedeutet. Wird eins ausgerissen, so wie ich jetzt eins ausreißen werde, dann muß der sterben, dessen Leben es bedeutet.‹ Sie faßte das Kraut, das des Vaters Leben bedeutete, mit den Fingern und fing an, daran zu ziehen, und als sie ein wenig gezogen hatte und ein Stück von der weißen Wurzel zu sehen war, tat das Kraut einen tiefen Seufzer . . .«
    Bei diesem Wort sprang das kleine Mädchen neben Knecht auf, wie von einer Schlange gebissen, tat einen Schrei und rannte Hals über Kopf davon. Lang hatte sie mit der Angst gekämpft, die ihr die Geschichte machte, jetzt hatte sie es nicht mehr ausgehalten. Eine alte Frau lachte. Andere unter den Zuhörern hatten kaum weniger Angst als die Kleine, aber sie hielten an sich und blieben sitzen. Knecht aber, sobald er recht aus dem Traum des Zuhörens und Angsthabens erwacht war, sprang ebenfalls auf und rannte dem Mädchen nach. Die Ahne erzählte weiter.
    Der Regenmacher hatte seine Hütte nahe beim Dorfweiher stehen, in dieser Richtung suchte Knecht die Davongelaufene. Mit lockendem, beruhigendem Brummen, Singen und Sumsen suchte er sie zu ködern, mit einer Stimme, wie sie die Weiber beim Her
anlocken der Hühner machen, langgezogen, süß, auf Bezauberung bedacht. »Ada«, rief er und sang er, »Ada, Adalein, komm her. Ada, hab keine Angst, ich bin es, ich, Knecht.« So sang er wieder und wieder, und noch ehe er etwas von ihr gehört oder gesehen hatte, fühlte er plötzlich ihre kleine weiche Hand sich in die seine drängen. Sie war am Weg gestanden, den Rücken dicht an eine Hüttenwand gelehnt, und hatte ihn erwartet, seit sein Rufen sie erreicht hatte. Aufatmend schloß sie sich ihm an, der ihr groß und stark und schon wie ein Mann vorkam.
    »Hast du Angst gehabt, ja?« fragte er. »Ist nicht nötig, niemand tut dir was, alle haben Ada gern. Komm, wir gehen heim.« Sie zitterte noch und schluchzte ein wenig, war aber schon ruhiger und kam dankbar und vertrauensvoll mit.
    Aus der Hüttentür schimmerte schwaches rotes Licht, innen hockte der Wettermacher am Herd gebückt, durch seine hängenden Haare schimmerte es hell und rot, er hatte Feuer brennen und kochte etwas in zwei kleinen Töpfchen. Ehe Knecht mit Ada eintrat, schaute er von draußen neugierig ein paar Augenblicke zu; er sah sogleich, daß es kein Essen sei, was hier gekocht wurde, das tat man in anderen Töpfen, und es war ja auch dazu schon viel zu spät. Aber der Regenmacher hatte ihn schon gehört. »Wer steht da in der Tür?« rief er. »Vorwärts, herein! Bist du es, Ada?« Er deckte Deckel auf seine Töpfchen,
umbaute sie mit Glut und Asche und wendete sich um.
    Knecht schielte noch immer nach den geheimnisvollen Töpfchen, es war ihm neugierig, ehrfürchtig und beklommen zumut wie jedesmal, wenn er diese Hütte betrat. Er tat es, sooft er nur konnte, er schuf sich mancherlei Anlässe und Vorwände dazu, aber immer spürte er dabei dies halb kitzelnde, halb warnende Gefühl von leiser Beklemmung, in dem lüsterne Neugierde und Freude mit Furcht im Streite lag. Der Alte mußte es ja doch sehen, daß Knecht ihm seit langem nachfolgte und

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