Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
nicht mehr zur Ruhe kommender Stachel, und für ihn war es dadurch, daß es vorübergegangen und durch Prozession, Gebet und Bußübung besänftigt worden war, keineswegs abgetan und abgewendet. Es gewann sogar, je länger es vergangen war, für ihn desto größere Bedeu
tung, denn er erfüllte es mit Sinn, er wurde an ihm vollends zum Grübler und Deuter. Für ihn war schon das Ereignis an sich, das wunderhafte Naturschauspiel, ein unendlich großes und schwieriges Problem mit vielen Perspektiven: einer, der dies gesehen hatte, konnte wohl ein Leben lang darüber nachsinnen. Nur ein einziger im Dorf hätte den Sternenregen mit ähnlichen Voraussetzungen und ähnlichen Augen wie er selbst betrachtet, sein eigener Sohn und Schüler Turu, nur dieses einen Zeugen Bestätigungen oder Korrekturen hätten Wert für Knecht gehabt. Aber diesen Sohn hatte er schlafen lassen, und je länger er darüber nachgrübelte, warum er das eigentlich getan, warum er bei dem unerhörten Geschehnis auf den einzigen ernst zu nehmenden Zeugen und Mitbeobachter verzichtet hatte, desto mehr verstärkte sich in ihm der Glaube, daß er da gut und richtig gehandelt und einer weisen Ahnung gehorcht habe. Er hatte die Seinen vor dem Anblick behüten wollen, auch seinen Lehrling und Kollegen, und sogar ihn ganz besonders, denn niemandem war er so zugetan wie ihm. Darum hatte er ihm den Sternenfall verheimlicht und unterschlagen, denn einmal glaubte er an die guten Geister des Schlafes, zumal des jugendlichen, und ferner hatte er, wenn die Erinnerung ihn nicht täuschte, eigentlich schon in jenem Augenblick, gleich nach dem Beginn der Himmelszeichen, weniger an eine augenblickliche Lebensgefahr für al
le gedacht als an ein Vorzeichen und sich meldendes Unheil in der Zukunft, und zwar an eines, das keinen so nahe anging und betreffen würde wie ihn allein, den Wettermacher. Es war da etwas im Anzug, eine Gefahr und Bedrohung aus jener Sphäre her, mit welcher sein Amt ihn verband, und sie würde, in welcher Gestalt immer, vor allem und ausdrücklich ihm selber gelten. Sich dieser Gefahr wach und entschlossen entgegenzustellen, sich in der Seele auf sie vorzubereiten, sie hinzunehmen, aber sich nicht von ihr kleinmachen und entwürdigen zu lassen, das war die Mahnung und der Entschluß, welche er aus dem großen Vorzeichen zog. Es würde dies kommende Schicksal einen reifen und mutigen Mann erfordern, darum wäre es nicht gut gewesen, den Sohn mit hineinzuziehen, ihn als Mitleidenden oder nur als Mitwisser zu haben, denn so gut er von ihm dachte, war es doch ungewiß, ob ein junger und unerprobter Mensch ihm würde gewachsen sein.
Der Sohn Turu freilich war sehr unzufrieden damit, daß er das große Schauspiel versäumt und verschlafen hatte. Mochte es nun so oder so gedeutet werden, eine große Sache war es in jedem Fall, und vielleicht würde in seinem ganzen Leben sich Ähnliches nicht mehr zeigen, es war ihm ein Erlebnis und Weltwunder entgangen, eine ganze Weile schmollte er deswegen mit dem Vater. Nun, dies Schmollen wurde überwunden, denn der Alte entschädigte
ihn durch vermehrte zärtliche Aufmerksamkeit und zog ihn mehr als je zu allen Verrichtungen seines Amtes heran, sichtlich gab er im Vorgefühl kommender Dinge sich gesteigerte Mühe, in Turu vollends einen möglichst vollkommenen und eingeweihten Nachfolger zu erziehen. Sprach er auch nur selten mit ihm über jenen Sternregen, so nahm er ihn doch immer rückhaltloser in seine Geheimnisse, seine Praktiken, sein Wissen und Forschen mit auf, ließ sich von ihm auch bei Gängen, Versuchen, Naturbelauschungen begleiten, die er bisher mit niemand geteilt hatte.
Der Winter kam und verging, ein feuchter und eher milder Winter. Keine Sterne stürzten mehr, keine großen und ungewöhnlichen Dinge geschahen, das Dorf war beruhigt, fleißig gingen die Jäger auf Beute aus, am Gestänge über den Hütten klapperten überall bei windigem Frostwetter die Bündel von aufgehängten, steifgefrorenen Tierfellen, auf geglätteten langen Scheiten zog man über den Schnee die Holzlasten vom Walde her. Gerade während der kurzen Frostperiode starb eine alte Frau im Dorf, man konnte sie nicht gleich begraben; eine Reihe von Tagen, bis der Boden wieder etwas auftaute, hockte der gefrorene Leichnam neben der Hüttentür.
Der Frühling erst bestätigte zum Teil die üblen Vorahnungen des Wettermachers. Es wurde ein ausgesprochen schlechter, vom Monde verratener, lustlo
ser Frühling ohne Trieb und Saft,
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