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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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spielen versteht, in denen auch ich mich einst versucht habe, den möchte ich nicht hindern und nicht gering achten. Wenn ich mich einst damit bescheiden mußte, daß Demiurg und Geistgott, daß Schöpfung und Erlösung in ihrem unbegreiflichen Ineinander- und Zugleichsein mir ungelöste Rätsel blieben, so muß ich mich auch damit bescheiden, daß ich Philosophen nicht zu Gläubigen machen kann. Es ist nicht meines Amtes.«
    Einmal, nachdem einer einen Totschlag und Ehebruch gebeichtet hatte, sagte Dion zu seinem Gehilfen: »Totschlag und Ehebruch, das klingt recht verrucht und großartig, und es ist ja auch schlimm genug, nun ja. Aber ich sage dir, Josef, in Wirklichkeit sind diese Weltleute überhaupt keine richtigen Sünder. Sooft ich es versuche, mich ganz in einen von ihnen hineinzudenken, kommen sie mir durchaus wie Kinder vor. Sie sind nicht brav, nicht gut, nicht edel, sie sind eigennützig, lüstern, hochmütig, zornig, gewiß, aber eigentlich und im Grunde sind sie unschuldig, unschuldig in der Weise, wie eben Kinder unschuldig sind.«
    »Aber doch«, sagte Josef, »stellst du sie oft gewaltig zur Rede und malst ihnen die Hölle vor Augen.«
    »Eben darum. Sie sind Kinder, und wenn sie Ge
wissensbeschwerden haben und beichten kommen, dann wollen sie ernst genommen und wollen auch ernsthaft abgekanzelt werden. Wenigstens ist dies meine Meinung. Du hast es ja anders gemacht, seinerzeit, du hast nicht gescholten und gestraft und Bußen auferlegt, sondern warst freundlich und hast die Leute einfach mit dem Bruderkuß entlassen. Ich will das nicht tadeln, nein, aber ich könnte das nicht.«
    »Wohl«, sagte Josef zögernd. »Aber sage, warum hast du dann mich, als ich dir damals meine Beichte abgelegt hatte, nicht ebenso behandelt wie deine anderen Beichtkinder, sondern hast mich schweigend geküßt und kein Wort der Strafe gesagt?«
    Dion Pugil richtete seinen durchdringenden Blick auf ihn. »War es nicht richtig, was ich getan habe?« fragte er.
    »Ich sage nicht, es sei nicht richtig gewesen. Es war gewiß richtig, sonst hätte jene Beichte mir nicht so wohlgetan.«
    »Nun, so laß es gut sein. Auch habe ich dir ja damals eine strenge und lange Buße auferlegt, wenn schon ohne Worte. Ich habe dich mitgenommen und als meinen Diener behandelt und dich zu dem Amt zurückgeführt und gezwungen, dem du dich hattest entziehen wollen.«
    Er wandte sich ab, er war ein Feind langer Gespräche. Aber Josef blieb diesmal hartnäckig.
    »Du wußtest damals im voraus, daß ich dir gehor
sam sein würde, ich hatte es schon vor der Beichte, und noch eh ich dich kannte, versprochen. Nein, sage mir: war es wirklich nur aus diesem Grunde, daß du es so mit mir gehalten hast?«
    Der andere tat ein paar Schritte auf und nieder, blieb vor ihm stehen, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Die Weltleute sind Kinder, mein Sohn. Und die Heiligen – nun, die kommen nicht zu uns beichten. Wir aber, du und ich und unseresgleichen, wir Büßer und Sucher und Weltflüchtige, wir sind keine Kinder und sind nicht unschuldig und sind nicht durch Strafpredigten in Ordnung zu bringen. Wir, wir sind die eigentlichen Sünder, wir Wissenden und Denkenden, die wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, und wir sollten einander also nicht wie Kinder behandeln, die man mit der Rute streicht und wieder laufen läßt. Wir entlaufen ja nach einer Beichte und Buße nicht wieder in die Kinderwelt, wo man Feste feiert und Geschäfte macht und gelegentlich einander totschlägt, wir erleben die Sünde nicht wie einen kurzen, bösen Traum, den man durch Beichte und Opfer wieder von sich abtut: wir weilen in ihr, wir sind niemals unschuldig, wir sind immerzu Sünder, wir weilen in der Sünde und im Brand unseres Gewissens, und wir wissen, daß wir unsere große Schuld niemals werden bezahlen können, es sei denn, daß Gott uns nach unserem Hinscheiden gnädig ansieht und in seine Gnade auf
nimmt. Dies, Josef, ist der Grund, warum ich dir und mir nicht Predigten halten und Bußen diktieren kann. Wir haben es nicht mit dieser oder jener Entgleisung oder Übeltat zu tun, sondern immerdar mit der Urschuld selbst; darum kann einer von uns den andern nur des Mitwissens und der Bruderliebe versichern, nicht aber ihn durch eine Strafe heilen. Hast du dies denn nicht gewußt?«
    Leise gab Josef zur Antwort: »Es ist so. Ich habe es gewußt.«
    »Also laß uns nicht unnütze Reden führen«, sagte der Alte kurz und wandte sich dem Stein vor seiner Hütte

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