Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
zu, auf dem er zu beten gewohnt war.
Einige Jahre vergingen, und Vater Dion wurde je und je von einer Schwäche heimgesucht, so daß Josef ihm am Morgen behilflich sein mußte, da er sich nicht allein aufzurichten vermochte. Dann ging er beten, und auch nach dem Gebet vermochte er sich nicht allein aufzurichten. Josef mußte ihm helfen, und dann saß er den ganzen Tag und sah in die Weite hinaus. Dies geschah an manchen Tagen, an anderen wurde der alte Mann allein mit dem Aufstehen fertig. Auch Beichten hören konnte er nicht an jedem Tag, und wenn einer bei Josef gebeichtet hatte, rief ihn Dion nachher zu sich und sagte ihm: »Es geht zu Ende mit mir, mein Kind, es geht zu Ende. Sage es den Leuten: dieser Josef ist mein Nachfolger.« Und wenn Josef abwehren und ein Wort dazwischenwer
fen wollte, blickte der Greis ihn mit jenem schrecklichen Blick an, der einen wie ein eisiger Strahl durchdrang.
Eines Tages, an dem er ohne Hilfe aufgestanden war und kräftiger schien, rief er Josef zu sich und führte ihn an eine Stelle am Rand ihres kleinen Gartens.
»Hier«, sagte er, »ist der Ort, an dem du mich begraben wirst. Das Grab werden wir gemeinsam graben, wir haben wohl noch etwas Zeit. Hole mir den Spaten.«
Nun gruben sie an jedem Tag in der Morgenfrühe ein kleines Stück. War Dion bei Kräften, so hob er selber einige Spaten voll Erde aus, mit großer Beschwerde, aber mit einer gewissen Munterkeit, als bereite die Arbeit ihm Vergnügen. Auch den Tag über verließ diese gewisse Munterkeit ihn nicht mehr; seit an dem Grabe geschaufelt wurde, war er stets guter Dinge.
»Du wirst eine Palme auf mein Grab pflanzen«, sagte er einmal bei dieser Arbeit. »Vielleicht wirst du noch von ihren Früchten essen. Wenn nicht, so wird ein anderer es tun. Ich habe je und je einen Baum gepflanzt, aber doch zu wenige, allzu wenige. Manche sagen, ein Mann sollte nicht sterben, ohne einen Baum gepflanzt zu haben und einen Sohn zu hinterlassen. Nun, ich hinterlasse einen Baum und hinterlasse dich, du bist mein Sohn.«
Er war gelassen und heiterer, als Josef ihn gekannt hatte, und wurde es mehr und mehr. Eines Abends, es wurde dunkel, und sie hatten schon gespeist und gebetet, rief er von seinem Lager aus nach Josef und bat ihn, noch eine kleine Weile bei ihm zu sitzen.
»Ich will dir etwas erzählen«, sagte er freundlich, er schien noch nicht müde und schläfrig zu sein. »Denkt es dir noch, Josef, wie du einst in deiner Klause drüben bei Gaza so schlechte Zeiten hattest und deines Lebens überdrüssig warst? Und wie du dann die Flucht ergriffen und beschlossen hast, den alten Dion aufzusuchen und ihm deine Geschichte zu erzählen? Und wie du dann in der Brüdersiedlung den alten Mann getroffen hast, den du nach dem Wohnort des Dion Pugil fragtest? Nun ja. Und war es nicht wie ein Wunder, daß jener alte Mann Dion selber war? Ich will dir nun erzählen, wie das gekommen ist; es war nämlich auch für mich merkwürdig und wie ein Wunder.
Du weißt, wie das ist, wenn ein Büßer und Beichtvater alt wird und die vielen Beichten der Sünder angehört hat, die ihn für einen Sündelosen und Heiligen halten und nicht wissen, daß er ein größerer Sünder ist als sie. Da kommt ihm sein ganzes Tun unnütz und eitel vor, und was ihm einst heilig und wichtig schien, daß ihn nämlich Gott an diese Stelle gesetzt und gewürdigt hat, den Schmutz und Unrat der Menschenseelen anzuhören und sie zu erleich
tern, das erscheint ihm jetzt als eine große, eine allzu große Last, ja als ein Fluch, und am Ende graut ihm vor jedem Armen, der mit seinen Kindersünden zu ihm kommt, er wünscht ihn fort und wünscht sich selber fort, und sei es an einen Strick am Ast eines Baumes. So ist es dir gegangen. Und jetzt ist auch für mich die Stunde des Beichtens gekommen, und ich beichte: auch mir ist es so gegangen wie dir, auch ich glaubte unnütz und geistig erloschen zu sein und es nicht mehr ertragen zu können, daß immer wieder vertrauensvoll die Leute zu mir kamen und all den Unrat und Gestank des Menschenlebens zu mir trugen, mit dem sie nicht fertig wurden, und mit dem auch ich nicht mehr fertig wurde.
Nun hatte ich des öfteren von einem Büßer namens Josephus Famulus sprechen hören. Auch zu ihm, so vernahm ich, kamen die Menschen gern zur Beichte, und viele gingen zu ihm lieber als zu mir, denn er sollte ein sanfter, freundlicher Mann sein, und es hieß, er verlange nichts von den Leuten und schelte sie nicht aus, er behandle sie als
Weitere Kostenlose Bücher