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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Und sollte er uns dann fragen:
    ›Warum habt Ihr mir das nicht gestern, nicht vor zehn Jahren schon gesagt‹ – dann wollen wir antwor
ten: ›Es ist dir damals noch nicht schlecht genug gegangen.‹«
    Er war ernst geworden und schwieg eine Weile. Dann, wie aus Erinnerungsträumen heraus, fügte er hinzu: »Ich habe selbst einst viel mit den Weisheiten der Väter gespielt und mich vergnügt, und auch als ich schon auf dem Weg des Kreuzes war, hat das Theologisieren mir noch oft Freude gemacht, und freilich auch Kummer genug. Ich hatte es in meinen Gedanken am meisten mit der Schöpfung der Welt zu tun und damit, daß am Ende des Schöpfungswerkes doch eigentlich alles hätte gut sein sollen, denn es heißt ja: ›Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut.‹ In Wirklichkeit aber war es nur einen Augenblick gut und vollkommen, den Augenblick des Paradieses, und schon im nächsten Augenblick war Schuld und Fluch in die Vollkommenheit geraten, denn Adam hatte von jenem Baume gegessen, von dem zu essen ihm verboten war. Es gab nun Lehrer, welche sagten: der Gott, der die Schöpfung und mit ihr den Adam und den Baum der Erkenntnis gemacht hat, sei nicht der einige und höchste Gott, sondern nur sein Teil oder ein Untergott von ihm, der Demiurg, und die Schöpfung sei nicht gut, sondern sie sei ihm mißglückt, und es sei nun für eine Weltenzeit das Geschaffene verflucht und dem Bösen anheimgegeben, bis Er selbst, der Eine Geist Gott, durch seinen Sohn der
verfluchten Weltzeit ein Ende zu bereiten beschloß. Von nun an, so lehrten sie, und so dachte auch ich, habe das Absterben des Demiurgen und seiner Schöpfung begonnen, und die Welt sterbe allmählich dahin und welke ab, bis in einem neuen Weltalter keine Schöpfung, keine Welt, kein Fleisch, keine Gier und Sünde, kein fleischliches Zeugen, Gebären und Sterben mehr sein, sondern eine vollkommene, geistige und erlöste Welt erstehen werde, frei vom Fluche Adams, frei vom ewigen Fluch und Drang des Begehrens, Zeugens, Gebärens, Sterbens. Wir gaben mehr dem Demiurgen als dem ersten Menschen die Schuld an den derzeitigen Übeln der Welt, wir waren der Meinung, es hätte dem Demiurgen, wenn er wirklich Gott selber war, ein leichtes sein müssen, den Adam anders zu schaffen oder ihm die Versuchung zu ersparen. Und so hatten wir denn am Schluß unserer Folgerungen zwei Götter, den Schöpfergott und den Vatergott, und scheuten uns nicht, über den ersteren richtend abzuurteilen. Es gab sogar solche, welche noch einen Schritt weitergingen und behaupteten, die Schöpfung sei überhaupt nicht Gottes, sondern des Teufels Werk gewesen. Wir glaubten mit unseren Klugheiten dem Erlöser und dem kommenden Zeitalter des Geistes behilflich zu sein, und so machten wir uns denn Götter und Welten und Weltpläne zurecht und disputierten und trieben Theologie, bis ich eines Tages in ein Fieber verfiel und auf den Tod
krank wurde, und in den Träumen des Fiebers hatte ich es beständig mit dem Demiurgen zu tun, mußte Krieg führen und Blut vergießen, und die Gesichte und Beängstigungen wurden immer schrecklicher, bis ich in der Nacht des höchsten Fiebers meine eigene Mutter glaubte töten zu müssen, um meine fleischliche Geburt wieder auszulöschen. Der Teufel hat mich in jenen Fieberträumen mit allen seinen Hunden gehetzt. Aber ich genas, und zur Enttäuschung meiner früheren Freunde kehrte ich als ein dummer, schweigsamer und geistloser Mensch ins Leben zurück, der zwar die Kräfte seines Körpers bald wiedergewann, nicht aber die Freude am Philosophieren. Denn in den Tagen und Nächten der Genesung, als jene scheußlichen Fieberträume gewichen waren und ich beinahe immer schlief, fühlte ich in jedem wachen Augenblick den Erlöser bei mir und fühlte Kraft von ihm aus- und in mich eingehen, und als ich wieder gesund geworden war, empfand ich eine Traurigkeit darüber, daß ich diese seine Nähe nicht mehr zu empfinden vermochte. Statt ihrer aber empfand ich eine große Sehnsucht nach jener Nähe, und nun zeigte es sich: sobald ich wieder dem Disputieren zuhörte, fühlte ich, wie diese Sehnsucht – sie war damals mein bestes Gut – in Gefahr geriet, dahinzuschwinden und sich in die Gedanken und Worte hineinzuverlaufen, wie Wasser in Sand zerrinnt. Genug, mein Lieber, es war zu Ende
mit meiner Klugheit und Theologie. Ich gehöre seither zu den Einfältigen. Aber wer zu philosophieren und zu mythologisieren weiß, wer jene Spiele zu

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