Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Studiendirektoren mit einem gleichfalls gewählten Magister ludi, dem Glasperlenspielmeister, an der Spitze.
Knecht entscheidet sich für die kastalische Laufbahn, absolviert sämtliche Stufen ihrer Rangordnung und wird nach dem unerwarteten Tod des an Thomas Mann erinnernden Glasperlenspielmeisters Thomas von der Trave im Alter von kaum 40 Jahren zum bisher jüngsten Magister ludi gewählt.
Acht Jahre übt er sein Amt in vorbildlicher Hingabe aus. Dabei entgeht es ihm nicht, daß auch Kastalien wie jedes historische Gebilde vergänglich ist. Es melden sich Anzeichen der Erstarrung. Zu ihnen gehören eine zunehmend selbstgenügsame Autonomie,
geistige Inzucht, ein Hochmut des Wissenschaftsbetriebes und ein Standes- und Ordensdünkel, der sich in Teilnahmslosigkeit gegenüber der außerkastalischen Welt, der Politik und ihrer Machthaber äußert und dazu führt, daß immer weniger Absolventen der pädagogischen Provinz sich freiwillig zum Dienst an den staatlichen Schulen melden. Schon lange bevor Josef Knecht an die Spitze der kastalischen Hierarchie gewählt wurde, hatten sich Symptome dafür abgezeichnet. Bereits in den Streitgesprächen mit seinem so ehrgeizigen wie eloquenten Jugendfreund Plinio Designori hatte er Mühe gehabt, ihnen entgegenzutreten, wie später den Einwänden des an Jacob Burckhardt erinnernden Historikers Pater Jakobus.
In einem Rundschreiben an seine Magisterkollegen formuliert Josef Knecht diese Bedenken und bittet um Entlassung aus seinem Amt, um als einfacher Lehrer seine pädagogische Tätigkeit außerhalb Kastaliens fortsetzen zu können und seinen Mitarbeitern ein Beispiel zu geben. Daß sich die Ordensleitung diesem Ansinnen widersetzt, zeigt, wie unflexibel die kastalische Institution inzwischen geworden ist. Andererseits ist Knechts milde, doch unerbittliche Moralität, sein Mut, der ihn dazu nötigt, dieses Votum zu mißachten und die Provinz trotzdem zu verlassen, genau das, was seine Laufbahn auszeichnet und berichtenswert macht. Er geht damit den Weg
vom Ästhetischen zum Ethischen und bleibt im Einklang mit dem Ziel, das er sich in seinem Jugendgedicht »Stufen« gesetzt hatte: »Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten / An keinem wie an einer Heimat hängen. / Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, / Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.«
Erste Anlaufstation Knechts auf dem Weg von Kastalien in die Hauptstadt ist Plinio Designori, sein Freund und Antipode, der sich inzwischen als Jurist und Parteiführer »an die Beeinflussung von Massen hingegeben und dabei das Vertrauen seines einzigen Sohnes verloren hat«. Da alle Erziehung beim einzelnen beginnt, wendet sich Knecht zunächst dessen gefährdetem und schwer zu gewinnendem Sohn Tito zu. Doch Tito nimmt vor dem angekündigten Lehrer Reißaus in das Ferienhaus seiner Eltern an einem See im Gebirge. Knecht reist ihm nach, gewinnt sein Vertrauen und versteht ihn zu zähmen. Obwohl Knechts Aufstieg in 2000 Meter Höhe ihm eine schlaflose Nacht, Schwindel und Herzbeschwerden eingetragen hatte, bringt er es am folgenden Morgen nicht über sich, die eben erst gewonnene Zuneigung Titos aufs Spiel zu setzen und dessen Einladung zu einem Wettschwimmen auszuschlagen. Sein pädagogischer Eros überspringt jede Vorsicht, und er ertrinkt in den eiskalten Fluten. Dieser Tod geht nicht spurlos an Tito vorbei. Es wird ihm bewußt, »wie lieb er diesen
Mann schon gehabt hatte«, und im Gefühl seiner Mitschuld überkommt ihn die Ahnung, »daß diese Schuld ihn selbst und sein Leben umgestalten und viel Größeres von ihm fordern werde, als er bisher je von sich verlangt habe«. Unvermittelt und aus beiläufigstem Anlaß wie im wirklichen Leben endet Knechts Laufbahn, doch passend zu ihm und seinem beruflichen Selbstverständnis und dem im Kapitel »Studienjahre« durch das chinesische Orakel I Ging unter dem Zeichen Mong (»Jugendtorheit hat Gelingen: Oben der Berg, unten das Wasser . . .«) vorausgesagten Schicksal. Daß sich dabei Tod und Geburt auf merkwürdige Weise decken, ergibt sich aus der astrologischen Bedeutung des Zeichens Mong (das übrigens auch mit den Konstellationen von Hesses Geburt übereinstimmt).
Immer wieder ist dieses Ende als zu abrupt und willkürlich bemängelt worden. Auf die Zuschrift eines Kritikers antwortete Hesse im November 1947: »Er hätte, klug und fein, es unterlassen können, trotz seiner Erkrankung den Sprung ins Bergwasser zu tun. Er tut ihn dennoch, weil etwas in ihm stärker
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