Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
weitere, ein »Tessiner« und ein [»Schwäbischer«] Lebenslauf fanden. »Ich dachte mir«, berichtet er im Januar 1955, »einen Menschen, der in mehreren Wiedergeburten die großen Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt. Übriggeblieben ist von dieser ursprünglichen Intention, wie Sie sehen, die Reihe der Knechtschen Lebensläufe, die drei historischen und der kastalische.«
Die kastalische Biographie Knechts ist also anfangs gar nicht beabsichtigt gewesen. Erst 1938, ein Jahr bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, kam Hesse auf den Gedanken, die im Vorwort skizzierte Utopie vom Glasperlenspiel am Beispiel einer auf das kriegerische 20. Jahrhundert zurückblickenden Biographie Josef Knechts zu konkretisieren. Es waren nicht formale, sondern zeitgeschichtliche Gründe, die ihn dazu bewogen. Denn in den fünf Jahren seit Hitlers Machtergreifung war auf noch drastischere Weise eingetreten, was Hesse bereits 1932 in den Frühfassungen des Einführungskapitels an die Wand ge
malt hatte. Mit einer die Zukunft vorwegnehmenden Lebensbeschreibung Josef Knechts war zu zeigen, daß die Hölle des braunen Terrors nicht ewig dauern werde. Denn der Mensch, schrieb Hesse in einem Brief vom 7.2.1940, sei zwar »großer Erhebungen und Schweinereien fähig, er kann zum Halbgott steigen und zum Halbteufel sinken; aber er fällt, wenn er etwas recht Großes oder recht Säuisches getan hat, immer wieder auf seine Füße und sein Maß zurück und dem Pendelschlag der Wildheit und Dämonie folgt unweigerlich der Rückschlag, folgt die dem Menschen unentrinnbar eingeborene Sehnsucht nach Maß und Ordnung«. So kam es zur Darstellung des wieder an zeitlosen Gesetzmäßigkeiten ausgerichteten pädagogischen Modells von Kastalien, anschaulich gemacht durch die ins 22. Jahrhundert transportierte Lebensgeschichte von Josef Knecht.
Am 29.4.1942 konnte Hesse die Arbeit am Glasperlenspiel abschließen. Den ersten Teil mit der Einführung sowie einem 241 Seiten umfassenden Typoskript der Lebensbeschreibung Josef Knechts (bis zum Kapitel »Im Amte«) hatte er bereits im Februar 1942 per Einschreiben als Wertpaket an seinen Berliner Verleger geschickt, damit mit dem Druck begonnen werden konnte. Der Rest traf drei Monate später im Verlag ein. Peter Suhrkamp, der den Berliner S. Fischer Verlag seit dem erzwungenen Ausscheiden seiner jüdischen Besitzer mit deren Zustimmung im
April 1936 als einer von vier Kommanditisten leitete, mußte nun bei den deutschen Behörden Anträge zur Publikationsgenehmigung und Papierbewilligung der Buchausgabe stellen, ja schließlich sogar das Manuskript dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zur Überprüfung vorlegen. Die Verhandlungen zogen sich sieben Monate hin und waren wenig erfolgreich. Denn Hesse als Schweizer hatte sich geweigert, das Formular zu unterzeichnen, das die in Deutschland publizierenden Autoren dazu verpflichtete, nichts zu veröffentlichen, was den Zielen des Nationalsozialismus zuwiderlaufe. In seinen Schreiben an die Zensurstellen der Reichsschrifttumskammer versuchte Suhrkamp vergeblich auf die Konsequenzen hinzuweisen, die ein Verbot der Buchpublikation nach sich ziehen würde. Das Glasperlenspiel werde sonst in einem Exilverlag erscheinen mit entsprechender Polemik der Auslandspresse und negativen Folgen für die deutsche Kulturpolitik. In einem Brief an Hans Carossa vom 14.9.1942 schildert Suhrkamp die Vorgänge: »Von Herrn Oberregierungsrat Dr. Erckmann wurde zunächst das Manuscript verlangt. Er stützte sein Verlangen auf die Tatsache, daß Hesse als Schweizer, also als Ausländer zu behandeln und seine Veröffentlichung genehmigungspflichtig sei. Aus früheren Verhandlungen mit Herrn Dr. Erckmann wußte ich, daß dieser kein gutes Verhältnis zu Hesse hat; er war es beispielsweise,
der im Jahre 1941 sofort zu dem vollständigen Verbot der Schriften Hesses entschlossen war . . . Wenige Tage später teilte mir dann Dr. Erckmann endgültig mit, die Rosenbergstelle habe ein Erscheinen des Buches in Deutschland für unerwünscht erklärt.« Da auch die Verlagskorrespondenz kontrolliert wurde, erfuhr Hesse von diesen Vorgängen erst Ende November 1942 anläßlich eines Besuches von Peter Suhrkamp, als dieser ihm das Manuskript zurückbrachte. Seinem Sohn Heiner schrieb Hesse dazu Ende 1942: er habe Suhrkamp fast nicht wiedererkannt, »so ist er zum Skelett geworden. Mein Buch, an dem ich die letzten elf Jahre geschrieben habe, kann nun trotz all seiner
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