Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
ist als die Klugheit, weil er diesen schwer zu gewinnenden Knaben nicht enttäuschen kann, und er hinterläßt einen Tito, dem dieser Opfertod eines ihm weit überlegenen Mannes zeitlebens Mahnung und Führung bedeuten und ihn mehr erziehen wird als alle Predigten der Weisen.«
Auf die Inhalte der Biographie Josef Knechts, insbesondere dessen Entscheidung, der kastalischen Klausur den Rücken zu kehren, um in der Welt zu wirken, hatten die politischen Konstellationen der dreißiger Jahre Einfluß. Wie Knecht die pädagogische Provinz, sah sich auch Hesse gezwungen, die Arbeit an seinem Buch immer wieder zu verlassen. Der Umstand, daß er seit 1912 in bewußter Distanz zu den deutschen Verhältnissen in der neutralen Schweiz lebte, hatte ihn seit Hitlers Machtergreifung zum Hoffnungsträger für zahllose politisch Verfolgte gemacht. Ihnen zu helfen, sei es finanziell, sei es durch Beratung, Zuspruch, Beherbergung, Visavermittlung oder durch Interventionen bei der schweizerischen Fremdenpolizei, bestimmte Hesses Alltag nicht allein während der Ära des Nationalsozialismus, sondern noch bis zum Ausgang der vierziger Jahre. Ein Brief an den jungen aus der Tschechoslowakei geflohenen Schriftsteller Peter Weiss, den Hesse, wie den Dresdner Maler Gunter Böhmer, in seinem ehemaligen Domizil, der Casa Camuzzi in Montagnola, untergebracht hatte, steht für unzählige Situationsberichte aus der Entstehungszeit des Glasperlenspiels . Er habe es tagtäglich, schrieb er im Juli 1938, »mit den Nöten der Flüchtlinge etc. zu tun, es ist schon beinah wie einst im Krieg, wo ich mehr als drei Jahre lang Fürsorgearbeit für die Kriegsgefangenen tat. Erzählen läßt sich das nicht, aber die Belastung ist groß, besonders
die moralische, sie frißt mein Leben, zerstört meine eigene Arbeit vollkommen und läßt sich doch nicht abweisen oder fliehen.« Die Fremdenpolizei, »also unsere offizielle Schweizer Politik ist ausgesprochen antisemitisch, bald wird die Schweiz ein südlicher Gau von Großdeutschland und Hitler Bundespräsident sein«. Was Hesse 1915-1919 in seiner Berner Zentrale für Kriegsgefangenenfürsorge noch amtlich getan hatte, galt es nun anonym und im Alleingang zu leisten, einzig unterstützt von seiner Frau Ninon, der es dank Hesses Einfluß glückte, auch vielen ihrer jüdischen Verwandten und Freunden das Leben zu retten. »Unzählige dieser Fälle«, schrieb Hesse am 19.1.1935 an seinen Sohn Heiner, »landen auch bei mir und müssen von mir aufgeklärt werden, alles unter der Hand und ohne Öffentlichkeit, weil ich nun einmal jetzt die Rolle habe, in und für Deutschland zu arbeiten, aber Schweizer und Europäer zu sein.« Wie Thomas Mann und Stefan Zweig, der sich in seinem englischen Exil als »ehemals Schriftsteller, jetzt Experte für Visabeschaffung« bezeichnete, wurde auch Hesses Spannkraft fast völlig von solch ehrenamtlicher Sozialarbeit absorbiert. Kein Wunder, daß sich die Niederschrift des Glasperlenspiels über mehr als 10 Jahre hinzog. Noch auf keines seiner Bücher hatte er eine so lange Zeitspanne verwenden müssen. Und noch eine andere Variante des außerkastalischen Einsatzes kam hinzu: Hesses Versuch, mit
Hunderten von zeitkritischen Buchbesprechungen, sei es in der »Neuen Rundschau« seines Berliner Verlegers Peter Suhrkamp, sei es in der schwedischen Zeitschrift »Bonniers Litterära Magasin«, gegen den Strom der deutschen Kulturpolitik zu schwimmen, was ihm Angriffe sowohl aus dem Lager der Nationalsozialisten als auch der Emigrantenpresse eintrug, die ihm (in Unkenntnis der Inhalte dieser Publikationen) vor allem verübelte, daß er nicht in einem ihrer Exilverlage veröffentlichte. Der Schritt vom Ideal zum Realen, der Vita contemplativa in die Vita activa, aus dem kastalischen Elfenbeinturm an die Basis, hatte seinen Preis für Josef Knecht wie für seinen Autor.
Josef Knechts hinterlassene Schriften
Der Biographie des Magister Ludi folgen im dritten und abschließenden Teil des Buches die Aufzeichnungen, die sich in seinem Nachlaß fanden. Der Chronist vermerkt dazu: »Wenn wir von Knechts Schriften sprechen, meinen wir die ›Lebensläufe‹, deren letzten er etwa als 30jähriger schrieb und seine wenigen Gedichte. Sie sind als Manuskript aufbewahrt.« Die Gedichte habe er im Alter von 18 bis 24 Jahren verfaßt, übrigens entgegen den Gepflogenheiten Kastaliens, wo zwar der ganze Bestand der bis
herigen Kultur und des Wissens gelehrt, erforscht und miteinander in Beziehung
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