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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Knospen, aber noch kein Laub, und als ich einen Zweig abschnitt, drang mir ein bittersüßer, heftiger Geruch entgegen, der alle die andern Frühlingsgerüche in sich gesammelt, summiert und potenziert zu haben schien. Ich war ganz benommen davon, ich roch an meinem Messer, roch an meiner Hand, roch an dem Holunderzweig; sein Saft war es, der so dringlich und unwiderstehlich duftete. Wir sprachen nicht darüber, aber auch mein Kamerad roch lang und nachdenklich an seinem Rohr, auch zu ihm sprach der Duft. Nun, jedes Erlebnis hat eben seine Magie, und hier bestand mein Erlebnis darin, daß der kommende Frühling, schon beim Gehen über die feucht schwappenden Wiesenböden, beim Duft der Erde und Knospen von mir stark und beglückend empfunden, sich nun im Fortissimo des Holunderduftes zu einem sinnlichen Gleichnis und einer Bezauberung konzentrierte und steigerte. Vielleicht hätte ich, auch wenn dies kleine Erlebnis für sich allein geblieben wäre, diesen Geruch niemals mehr vergessen; vielmehr, jede künftige Wiederbegegnung mit diesem Geruch hätte mir wahrschein
lich bis ins Alter stets die Erinnerung an jenes erste Mal aufgeweckt, da ich den Duft bewußt erlebt hatte. Nun kommt aber noch etwas Zweites hinzu. Ich hatte damals bei meinem Klavierlehrer einen alten Band Noten gefunden, der mich gewaltig anzog, es war ein Band Lieder von Franz Schubert. Ich hatte darin geblättert, als ich einmal etwas lange auf den Lehrer warten mußte, und auf meine Bitte hatte er ihn mir für einige Tage geliehen. In meinen Freistunden lebte ich ganz in der Wonne des Entdeckens, ich hatte bis dahin nichts von Schubert gekannt und war damals ganz von ihm bezaubert. Und nun entdeckte ich, am Tag jenes Holundergangs oder am Tage nachher, Schuberts Frühlingslied ›Die linden Lüfte sind erwacht‹, und die ersten Akkorde der Klavierbegleitung überfielen mich wie ein Wiedererkennen: diese Akkorde dufteten genau so wie der junge Holunder geduftet hatte, so bittersüß, so stark und gepreßt, so voll Vorfrühling! Von jener Stunde an ist für mich die Assoziation Vorfrühling – Holunderduft – Schubertakkord eine feststehende und absolut gültige, mit dem Anschlagen des Akkords rieche ich sofort und unbedingt den herben Pflanzengeruch wieder, und beides zusammen heißt: Vorfrühling. Ich besitze an dieser privaten Assoziation etwas sehr Schönes, etwas, das ich für nichts hergeben möchte. Aber die Assoziation, das jedesmalige Aufzucken zweier sinnlicher Erlebnisse beim Gedanken ›Vorfrühling‹,
ist meine Privatsache. Sie läßt sich mitteilen, gewiß, so wie ich sie euch hier erzählt habe. Aber sie läßt sich nicht übertragen. Ich kann euch meine Assoziation verständlich machen, aber ich kann nicht machen, daß auch nur bei einem einzigen von euch meine private Assoziation gleichfalls zu einem gültigen Zeichen, zu einem Mechanismus wird, der auf Anruf unfehlbar reagiert und stets genau gleich abläuft.«
    Einer von Knechts Mitschülern, der es später bis zum ersten Archivar des Glasperlenspiels gebracht hat, wußte zu erzählen, daß Knecht im ganzen ein stillfröhlicher Knabe gewesen sei, beim Musizieren habe er zuweilen einen wunderbar versunkenen oder seligen Ausdruck gehabt, heftig und leidenschaftlich habe man ihn nur selten gesehen, besonders beim rhythmischen Ballspiel, das er sehr liebte. Einige Male aber sei der freundliche, gesunde Knabe aufgefallen und habe Spott oder auch Besorgnis erregt, nämlich bei einigen Fällen von Schülerentlassungen, wie sie ja namentlich an den niedern Eliteschulen des öftern notwendig werden. Als es das erstemal vorkam, daß ein Klassenkamerad beim Unterricht und Spiel fehlte und auch andern Tages nicht wiederkam und es sich herumsprach, daß er nicht etwa krank, sondern entlassen und abgereist sei und nicht wiederkommen werde, da sei Knecht nicht nur traurig, sondern tagelang wie verstört gewesen. Er selbst habe
sich später, um Jahre später, so darüber geäußert: »Wenn ein Schüler aus Eschholz zurückgeschickt wurde und uns verließ, empfand ich es jedesmal wie einen Todesfall. Hätte man mich nach dem Grund meiner Trauer gefragt, so hätte ich gesagt, es sei Mitleid mit dem Armen, der sich durch Leichtsinn und Trägheit seine Zukunft verdorben habe, und es sei auch Angst dabei, Angst, daß es auch mir vielleicht einmal so gehen könnte. Erst nachdem ich das gleiche schon des öftern erlebt hatte und im Grunde an die Möglichkeit, das gleiche Schicksal könne auch mich

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