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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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als von dessen Familie getroffen wird und mancher Vater sich lieber die Zunge abbisse, als daß er seinem Sohn diese freie Wahl wirklich überließe. Aber vielleicht ist das Verleumdung; schalten wir diesen Einwand aus! Die Freiheit also sei da, aber sie beschränkt sich auf den einen, einzigen Akt der Berufswahl. Nachher ist es mit der Freiheit zu Ende. Schon bei den Studien an der Hochschule ist der Arzt, der Jurist, der Techniker in einen sehr starren Lehrgang gezwängt, der mit einer Reihe von Prüfungen endet. Hat er sie bestanden, dann bekommt er sein Patent und kann nun, wieder in scheinbarer Freiheit, seinem Beruf nach
gehen. Er wird damit aber ein Sklave niedriger Mächte, er hängt vom Erfolg, vom Geld, von seinem Ehrgeiz, seiner Ruhmsucht, vom Gefallen ab, das die Menschen an ihm finden oder nicht finden. Er muß sich Wahlen unterziehen, er muß Geld verdienen, er nimmt teil am rücksichtslosen Wettkampf der Kasten, der Familien, der Parteien, der Zeitungen. Dafür hat er die Freiheit, erfolgreich und wohlhabend zu werden und von den Erfolglosen gehaßt zu werden oder umgekehrt. Mit dem Eliteschüler und spätern Mitglied des Ordens steht es in jeder Hinsicht umgekehrt. Er ›wählt‹ sich keinen Beruf. Er glaubt nicht, seine Talente besser beurteilen zu können als die Lehrer. Er läßt sich innerhalb der Hierarchie immer an den Ort stellen und zu der Funktion bestimmen, welche die Oberen für ihn wählen – sofern nämlich die Sache nicht etwa umgekehrt läuft und die Eigenschaften, Gaben und Fehler des Schülers es sind, welche die Lehrer zwingen, ihn hierhin oder dorthin zu stellen. Inmitten dieser scheinbaren Unfreiheit nun genießt jeder Electus nach seinen ersten Kursen die denkbar größte Freiheit. Während der Mann der ›freien‹ Berufe sich zur Ausbildung in seinem Fach einem engen und starren Lehrgang mit starren Prüfungen unterziehen muß, geht beim Electus, sobald er selbständig zu studieren beginnt, die Freiheit so weit, daß es viele gibt, welche ihr Leben lang nach eigener Wahl die entlegensten und oft fast
närrischen Studien betreiben, und niemand stört sie darin, solange nur nicht ihre Sitten entarten. Der zum Lehrer Geeignete wird als Lehrer verwendet, der zum Erzieher Geeignete als Erzieher, der zum Übersetzer Geeignete als Übersetzer, jeder findet wie von selbst den Ort, an welchem er dienen und im Dienen frei sein kann. Und nun ist er außerdem für sein ganzes Leben jener ›Freiheit‹ des Berufes entzogen, die so furchtbare Sklaverei bedeutet. Er weiß nichts vom Streben nach Geld, nach Ruhm, nach Rang, er kennt keine Parteien, keinen Zwiespalt zwischen Person und Amt, zwischen Privat und Öffentlich, keine Abhängigkeit vom Erfolg. Du siehst wohl, mein Sohn: wenn man von freien Berufen spricht, so ist das ›frei‹ ziemlich spaßhaft gemeint.«
     
    Der Abschied von Eschholz bedeutete in Knechts Leben einen deutlichen Einschnitt. Hatte er bisher in einer glücklichen Kindheit, in einer willigen und beinahe problemlosen Einordnung und Harmonie gelebt, so begann jetzt eine Periode des Kampfes, der Entwicklungen und der Problematik. Er war etwa siebzehn Jahre alt, als ihm seine baldige Versetzung in eine höhere Schulstufe angekündigt wurde, ihm und einer Reihe von Kommilitonen, und jetzt gab es auf eine kurze Weile keine wichtigere und mehr diskutierte Frage für die Ausgewählten als die nach dem Ort, an den jeder von ihnen verpflanzt werden
würde. Er wurde einem jeden der Tradition gemäß erst in den letzten Tagen vor der Abreise mitgeteilt, und in der Frist zwischen Entlassungsfest und Abreise waren Ferien. In diese Ferien nun fiel für Knecht ein schönes und bedeutendes Ereignis: der Musikmeister lud ihn ein, ihn auf einer Fußreise zu besuchen und einige Tage sein Gast zu sein. Das war eine große und seltene Ehre. Mit einem ebenfalls promovierten Kameraden – denn Knecht gehörte noch zu Eschholz, und den Schülern dieser Stufe war Alleinreisen nicht erlaubt – wanderte er eines frühen Morgens dem Wald und den Bergen entgegen, und als die beiden nach drei Stunden des Steigens im Waldschatten auf eine freie Kuppe gelangten, sahen sie unter sich schon klein und leicht überblickbar ihr Eschholz liegen, weithin kenntlich an der dunklen Masse der fünf Riesenbäume, am rasendurchzogenen Rechteck mit den spiegelnden Weihern, mit dem hohen Schulhaus, der Ökonomie, dem Dörfchen, dem berühmten Eschengehölz. Die beiden Jünglinge standen und blickten hinab;

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