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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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treffen, gar nicht mehr glaubte, begann ich etwas tiefer zu sehen. Jetzt empfand ich den Ausschluß eines Electus nicht mehr nur als Unglück und Strafe, es war mir ja jetzt auch bekannt, daß die Entlassenen selbst in manchen Fällen ganz gerne wieder nach Hause zogen. Ich spürte jetzt, daß es nicht bloß Gericht und Strafe gab, denen ein Leichtsinniger zum Opfer fallen konnte, sondern daß die ›Welt‹ dort draußen, aus der wir Electi alle einst gekommen waren, nicht in dem Maße aufgehört habe zu existieren, wie es mir erschien, daß sie vielmehr für manche eine große Wirklichkeit voll Anziehungskraft war, die sie lockte und schließlich zurückrief. Und vielleicht war sie das nicht nur für einzelne, sondern für alle, vielleicht auch war es gar nicht ausgemacht, daß es die Schwächeren und Minderwertigen seien, welche die ferne Welt so sehr anzog: vielleicht war der scheinba
re Rückfall, den sie erlitten, gar kein Fall und kein Erleiden, sondern ein Sprung und eine Tat, und vielleicht waren wir, die wir brav in Eschholz blieben, gerade die Schwachen und Feigen.« Wir werden sehen, daß diese Gedanken ihm etwas später sehr lebendig nahe traten.
    Eine große Freude war für ihn jedes Wiedersehen mit dem Musikmeister. Der kam mindestens alle zwei bis drei Monate einmal nach Eschholz, besuchte und inspizierte die Musikstunden, war auch mit einem der dortigen Lehrer befreundet, dessen Gast er nicht selten für einige Tage war. Einmal leitete er persönlich die letzten Proben zur Aufführung einer Vesper von Monteverdi. Vor allem aber behielt er die Begabteren unter den Musikschülern im Auge, und Knecht gehörte zu denen, die er seiner väterlichen Freundschaft würdigte. Je und je saß er mit ihm eine Stunde in einer der Übungskammern am Klavier und nahm Werke seiner Lieblingsmusiker mit ihm durch oder ein Musterbeispiel aus den alten Kompositionslehren. »Mit dem Musikmeister einen Kanon zu bauen oder ihn einen schlechtgebauten ad absurdum führen zu hören, hatte oft eine Feierlichkeit oder auch eine Munterkeit wie nichts andres, manchmal konnte man kaum die Tränen zurückhalten, und manchmal kam man nicht aus dem Lachen heraus. Aus einer privaten Musikstunde bei ihm kam man wie aus einem Bad und einer Massage.«
    Als Knechts Eschholzer Schülerzeit sich ihrem Ende näherte – er sollte zusammen mit etwa einem Dutzend andrer Schüler seiner Stufe in eine Schule der nächsten Stufe aufgenommen werden –, hielt diesen Kandidaten einst der Rektor die übliche Rede, in welcher er den Promovierten nochmals den Sinn und die Gesetze der kastalischen Schulen vor Augen stellte und ihnen gewissermaßen im Namen des Ordens den Weg vorzeichnete, an dessen Ende sie das Recht haben würden, selbst in den Orden einzutreten. Diese solenne Rede gehört zum Programm eines Festtages, den die Schule ihren Promovierten gibt und an welchem diese von Lehrern und Mitschülern wie Gäste behandelt werden. Stets finden an diesen Tagen sorgfältig vorbereitete Aufführungen statt – diesmal war es eine große Kantate aus dem siebzehnten Jahrhundert–, und der Musikmeister war selber gekommen, sie anzuhören. Nach des Rektors Rede, auf dem Wege zum geschmückten Speisesaal, näherte sich Knecht dem Meister mit einer Frage: »Der Rektor«, sagte er, »hat uns davon erzählt, wie es außerhalb von Kastalien, in den gewöhnlichen Schulen und Hochschulen, zugeht. Er hat gesagt, daß die dortigen Schüler sich auf ihren Universitäten den ›freien‹ Berufen zuwenden. Es sind das, wenn ich ihn richtig verstanden habe, zum größern Teil Berufe, welche wir hier in Kastalien gar nicht kennen. Wie soll ich das nun verstehen? Warum nennt man jene
Berufe ›frei‹? Und warum sollen gerade wir Kastalier von ihnen ausgeschlossen sein?«
    Der Magister Musicae zog den Jüngling beiseite und blieb unter einem der Mammutbäume stehen. Ein beinahe listiges Lächeln zog die Haut um seine Augen in Fältchen, als er ihm Antwort gab: »Du trägst den Namen Knecht, mein Lieber, vielleicht hat darum das Wort ›frei‹ so viel Zauber für dich. Nimm es aber nicht zu ernst in diesem Fall! Wenn die Nichtkastalier von freien Berufen sprechen, so wird das Wort vielleicht sehr ernsthaft und sogar pathetisch klingen. Von uns aber wird es ironisch gemeint. Eine Freiheit jener Berufe zwar besteht insofern, als der Lernende sich den Beruf selbst erwählt. Das gibt einen Anschein von Freiheit, obwohl in den meisten Fällen die Wahl weniger vom Schüler

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