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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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erscheinen mußten. Es ist mancher dieser Gelehrten wegen der Art seiner Studien belächelt, niemals aber getadelt oder gar seiner Privilegien beraubt worden. Daß sie auch beim Volk Achtung genossen und nicht bloß geduldet wurden,
wenn es auch viele Witze über sie gab, das hing mit dem Opfer zusammen, mit welchem alle Mitglieder der Gelehrtenschaft ihre geistige Freiheit bezahlten. Sie hatten viele Annehmlichkeiten, sie hatten in bescheidener Zuteilung Nahrung, Kleidung und Wohnung, sie hatten herrliche Bibliotheken zur Verfügung, Sammlungen, Laboratorien, aber dafür verzichteten sie nicht nur auf Wohlleben, auf Ehe und Familie, sondern waren, als mönchische Gemeinschaft, aus dem allgemeinen Wettbewerb der Welt ausgeschieden, kannten kein Eigentum, keine Titel und Auszeichnungen und hatten sich im Materiellen mit einem sehr einfachen Leben zu begnügen. Wenn einer seine Lebensjahre an die Entzifferung einer einzigen alten Inschrift vergeuden wollte, stand ihm dies frei, man leistete ihm noch Vorschub; aber wenn er auf gutes Leben, auf elegante Kleidung, auf Geld oder Titel Anspruch machte, stieß er auf unerbittliche Verbote, und wem diese Appetite wichtig waren, der kehrte meist schon in jungen Jahren in die »Welt« zurück, wurde besoldeter Fachlehrer, oder Privatlehrer, oder Journalist, oder heiratete, oder suchte sich auf irgendwelche Art ein Leben nach seinem Geschmack.
     
    Als der Knabe Josef Knecht von Berolfingen Abschied nehmen mußte, war es sein Musiklehrer, der ihn zum Bahnhof begleitete. Von ihm tat der Abschied
ihm weh, und ein wenig wallte ihm auch das Herz in einem Gefühl von Alleingebliebensein und Unsicherheit, als im Dahinfahren der hellgetünchte Treppengiebel des alten Schloßturmes untersank und verschwunden blieb. Mancher andre Schüler tritt diese erste Reise mit viel heftigeren Gefühlen, verzagt und in Tränen an. Josef war mit dem Herzen schon mehr drüben als hier, er überstand es leicht. Und die Reise war nicht lang.
    Er war der Schule Eschholz zugeteilt worden. Bilder dieser Schule hatte er früher schon im Amtszimmer seines Rektors gesehen. Eschholz war die größte und die jüngste Schulsiedlung von Kastalien, die Bauten alle aus neuerer Zeit, keine Stadt in der Nähe, nur eine dorfähnliche kleine Niederlassung, eng von Bäumen umstanden; dahinter entfaltete sich weit, eben und heiter die Anstalt, um ein großes freies Rechteck angelegt, in dessen Mitte, geordnet wie die Fünf auf einem Würfel, fünf stattliche Mammutbäume ihre dunklen Kegel in die Höhe trieben. Der riesige Platz war teils mit Rasen, teils mit Sand bedeckt und nur von zwei großen Schwimmbassins mit fließendem Wasser unterbrochen, zu welchen breite flache Stufen hinabführten. Beim Eingang zu diesem sonnigen Platz stand das Schulhaus, das einzig hohe Gebäude der Anlage, zweiflügelig mit je einer fünfsäuligen Vorhalle an jedem Flügel. Alles übrige Bauwerk, das den ganzen Platz ohne Lücke von drei Sei
ten umschloß, war ganz niedrig, flach und schmucklos, in lauter gleichgroße Glieder geteilt, deren jedes mit einer Laube und einer Treppe von wenigen Stufen auf den Platz mündete, und in den meisten Laubenöffnungen standen Blumentöpfe.
    Bei der Ankunft wurde nach kastalischer Sitte der Knabe nicht von einem Schuldiener empfangen und vor einen Rektor oder ein Lehrerkollegium geführt, sondern es empfing ihn ein Kamerad, ein hübscher, großgewachsener Knabe, in blaues Leinen gekleidet, ein paar Jahre älter als Josef, der gab ihm die Hand und sagte: »Ich bin Oskar, der älteste vom Haus Hellas, wo du wohnen wirst, und es ist mein Auftrag, dich bei uns willkommen zu heißen und einzuführen. In der Schule wirst du erst morgen erwartet, wir haben hübsch Zeit, alles ein wenig anzusehen, du wirst dich schnell auskennen. Ich bitte dich auch, mich für die erste Zeit, bis du eingelebt bist, als deinen Freund und Mentor zu betrachten, und auch als deinen Beschützer, falls du einmal von den Kameraden belästigt werden solltest; manche meinen ja, sie müßten immer die Neuen ein wenig plagen. Schlimm wird es nicht sein, das kann ich versprechen. Jetzt führe ich dich zuerst nach Hellas, in unser Schülerhaus, damit du siehst, wo du wohnen wirst.«
    So begrüßte, in der hergebrachten Weise, der vom Hausvorstand zu Josefs Mentor ernannte Oskar den Neuling, und in der Tat gab er sich Mühe, seine Rolle
gut zu spielen; fast immer macht ja diese Rolle den Senioren Spaß, und wenn ein Fünfzehnjähriger sich

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